Als Dietersdorf noch zwei Kirchen hatte

21.3.2013, 08:18 Uhr
Als Dietersdorf noch zwei Kirchen hatte

© Richard Hirthe/Archiv Hans P. Grießhammer

Und dann heißt es in dem Text noch „St. Georg ist die einzige Jugendstil-Kirche in der Region.“ Was zwar so im Internet auf der Seite des Dekanats und auch in Wikipedia steht, aber auch nicht ganz stimmt.

Beim Versuch, das alles irgendwie geradezubiegen, hat sich herausgestellt, dass mit der überlieferten Geschichte der Kirche noch mehr im Argen liegt.
Dafür, dass die Grundsteinlegung 1913 (und nicht 1912) war, haben die Dietersdorfer einen ziemlich gewichtigen Beweis: „Am Sonntag, Lätare, 2. März 1913 wurde der Grundstein gelegt“, heißt es auf dem in der St. Georgskirche unter der Kanzel eingemauerten Stein.

Als Dietersdorf noch zwei Kirchen hatte

© Beate Schleier

Doch wahrscheinlich hat auch das Stadtlexikon nicht Unrecht. 1912 gab es wohl zumindest Vorbereitungen, der offizielle Akt der Grundsteinlegung wurde dann eben auf den Sonntag Lätare gelegt. In einem Fotoalbum im Pfarramt sind sogar drei der Personen benannt. Allerdings heißt es in dem Album, die Grundsteinlegung sei am 13. März 1913 erfolgt. Das Festjahr der Kirchengemeinde jedenfalls richtet sich nach der Grundsteinlegung und beginnt demnach 2013.

Jugendstil-Kirche?

Dann die Legende von der „einzigen Jugendstil-Kirche in der Region“: Die St. Georgskirche stellt sich dar als Bau mit vielen Stilmitteln der Neo-Romanik mit allenfalls leichten Zügen des Jugendstils. Damit ist sie eine klassische Vertreterin des Historismus, der auf ältere Stilrichtungen zurückgreift und nachahmt. Die Neo- oder Neu-Romanik zitiert Stilelemente der Romanik (etwa 1000 bis 1200), vornehmlich den Rundbogen. Der Jugendstil dominierte in Kunst, Literatur und Architektur an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Er ist gekennzeichnet einerseits durch Funktionalität, anderseits durch dekorativ geschwungene Linien sowie flächenhafte florale Ornamente und die Aufgabe von Symmetrien. Davon ist in der Dietersdorfer Kirche jedoch recht wenig zu entdecken.

Die Dietersdorfer Pfarrerin Renate Schindelbauer macht auf drei weitere Kirchen in Nürnberg aufmerksam, die in derselben Zeit entstanden sind: Im Rangierbahnhof-Viertel (U-Bahn-Haltestelle Bauernfeindstraße) die katholische Kirche St. Willibald (errichtet 1912/13) und die evangelische Kirche St. Paul (eingeweiht 1913, laut Wikipedia „einzige Jugendstilkirche in Nürnberg“) sowie St. Anton in Nürnberg-Gostenhof (erbaut 1908 bis 1910). Insofern dürfte es mit der „einzigen Jugendstil-Kirche in der Region“ auch nicht weit her sein.

Ein Beweisfoto

Doch mit der Georgskirche läuft noch mehr nicht ganz rund: In der Denkmalliste heißt es „Turm im Kern 15. Jh., Langhaus im Kern 17. Jh.“ und weiter „unter Verwendung des alten Kernes“ (siehe auch kursiven Text ganz unten). Doch auch hier regt sich Protest. Die alte Dietersdorfer (Vorgänger-)Kirche, die Michaeliskirche, stand nämlich ganz woanders. Auch hierfür gibt es einen Beweis, nämlich ein altes Foto, auf dem beide Kirchen nebeneinander zu sehen sind.

Dieses Bild befindet sich zum einen im Fotoalbum der Dietersdorfer Pfarrgemeinde (angeblich stammt es von etwa 1920), zum anderen im Besitz des Schwabacher Heimatkundlers Hans P. Grießhammer. Er hat es beschriftet: „Die alte evangelische Kirche stand im Tal des Zwieselbachs. Dort, wo sich heute der Hof des ehemaligen Schulhauses befindet. Anstelle dieser kleinen, baufälligen und feuchten Filialkirche wurde in den Jahren 1912 — 1914 eine neue evangelische Kirche errichtet. Die alte Kirche wurde 1914 geschlossen und im Jahr 1921 abgebrochen. Das Foto von 1914 zeigt noch beide Kirchen. Foto Richard Hirthe.“

Kein „alter Kern“ verwendet

Ein „alter Kern“ wurde demnach mit Sicherheit nicht verwendet. Anderseits wäre aber auch ein falscher Eintrag in der Denkmalliste höchst ungewöhnlich.

Das Rätsel kann auch der Schwabacher Stadtarchivar Wolfgang Dippert nicht lösen. Er meint: „Klarheit und vielleicht auch Wahrheit erbringen sicherlich die Bauakten und -pläne. Diese dürften im Dietersdorfer Pfarrarchiv, da zeitweise Filiale, auch Pfarrarchiv Schwabach, sowie Landeskirchen-Archiv in Nürnberg zu finden sein.“

Unter Verwednung des alten Kerns
Auszug aus der Denkmalliste: Kirchenberg 1. Evang.-Luth. Pfarrkirche, 1912/14 von Jakob Pfaller, Turm im Kern 15. Jh., Langhaus im Kern 17. Jh.
Die späthistorische Kirche St. Georg orientiert sich an romanischer Bauweise und „rekonstruiert“ unter Verwendung des alten Kernes eine scheinbar unregelmäßig gewachsene Anlage: Am Außenbau gedrungener Turm, Langhaus mit Schopfwalmdach und Schleppgauben, an der Westseite Blendgalerien und Arkade asymmetrisch placiert. Im Inneren Stützen und Seitenschiff einseitig, im eingezogenen Chor Verwendung barocker Ziermotive. Flache, kassettierte Langhausdecke. Altar aus Teilen des alten Flügelaltares, Anfang 16. Jh.: Kanzel bez. 1712; Mondsichelmadonna, Holz, um 1480. Verschiedene Glasgemälde 16./17. Jh.
(Kratzsch, Klaus und Alexander Rauch, Stadt Schwabach. München (u.a.): i-team Hans Ullich und Dokumentation Saur, 1978. (Baudenkmäler in Bayern Bd. 63).)

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