Aus Rednitzhembach nach Kabul? Familie bangt um Pflegesohn

30.1.2017, 15:35 Uhr
Aus Rednitzhembach nach Kabul? Familie bangt um Pflegesohn

© Daniel Karmann/dpa

Es ist ein schlechter Film – trotzdem läuft er fast jede Nacht in Susanne Philipps Kopfkino ab: Immer wieder führen darin Polizisten ihren afghanischen Pflegesohn in Handschellen ab und bringen ihn in ein Flugzeug – zum Direktflug nach Kabul. Meist endet der Alptraum abrupt. Danach ist die 53-Jährige schweißgebadet – und kann meist nicht mehr einschlafen. Denn die Pflegemutter, die mit ihrer sechsköpfigen Familie in Rednitzhembach lebt, fragt sich: Wann wird aus dem Alptraum Wirklichkeit?

Seit die Bundesregierung damit begonnen hat, vor allem junge afghanische Männer nach Afghanistan abzuschieben, herrscht in der Familie Panik, wie es Susanne Philipp ausdrückt. "Wir sind dann immer völlig durch den Wind. Das Thema beschäftigt uns oft noch tagelang." Denn: "Ich sehe mich längst als seine Mutter." Und 15 Monate nach dem Einzug des damals 17 Jahre alten Jamal (Name von der Redaktion geändert) könne sie sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.

Womöglich ist die Sorge von Jamals Pflegemutter übertrieben. Denn das Asylverfahren ihres inzwischen volljährigen Pflegesohns ist noch gar nicht abgeschlossen. Susanne Philipp weiß aber auch: Von den afghanischen Asylbewerbern erhält derzeit nur etwa jeder zweite den angestrebten Flüchtlingsstatus. Und an eine Abschiebung ihres Pflegesohns will sie einfach nicht denken: "Das wäre, als würde ich mein Kind in den Tod schicken. Das wäre eine absolute Katastrophe für uns alle."

Bereits im vergangenen Herbst hatte das Ehepaar Philipp deshalb einen Brandbrief an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) geschickt. Dessen Einschätzung, in Afghanistan gebe es sichere Regionen, sei "vollkommen unverständlich" und weltfremd, entrüstet sich das Paar in dem Schreiben. Inzwischen bringe sie die Angst ihres Pflegesohns, demnächst in ein Flugzeug nach Kabul gesetzt zu werden, "an die Grenzen". Auf eine Antwort des Ministers wartet die Familie bis heute.

Die Philipps stehen nach Angaben der Diakonie im bayerischen Rummelsberg nicht allein. Von den 30 unbegleiteten Flüchtlingen, die der sogenannte Pflegekinderdienst der Diakonie seit 2015 im Großraum Nürnberg vermittelt hat, seien rund die Hälfte junge Afghanen, berichtet der Leiter der Vermittlungsstelle, Benno Schlag. Zwar seien die Asylverfahren der meisten noch nicht abgeschlossen. Und so lange die jungen Männer noch nicht volljährig seien, bestehe für sie ohnehin ein Abschiebeverbot.

"Trotzdem haben viele unserer Pflegefamilien jetzt Angst vor der Abschiebung der jungen Männer", sagt Schlag. Was mindestens genauso schwer wiege, sei die vergleichsweise restriktive Haltung des bayerischen Innenministeriums in Sachen Berufsausbildung von jugendlichen Flüchtlingen. Bayern werte bereits die Beschaffung eines Passes für eine mögliche Ausreise als Vorbereitung für eine Rückkehr ins Herkunftsland – und damit als Hinderungsgrund für eine Ausbildung, sagt Schlag. "Viele Pflegefamilien wissen jetzt gar nicht, ob ihre Jungs im nächsten Sommer eine Lehre beginnen können."

Diese ungewissen Perspektiven im Falle afghanischer Pflegekinder hat nach Schlags Angaben dazu geführt, dass inzwischen viele deutsche Familien zögerten, einen jungen Flüchtling als Pflegekind aufzunehmen. Für Februar sei deshalb eine Werbeaktion geplant. Denn der Bedarf sei groß: "Nicht nur viele der zuletzt nach Deutschland gekommenen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge suchen eine deutsche Pflegefamilie. Auch immer mehr der in Heimen untergebrachten jungen Asylbewerber haben erkannt, dass sie in einer Pflegefamilie besser aufgehoben sind", sagt Schlag.

Vor übertriebener Sorge der Pflegeeltern warnt derweil der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF). Der bayerische BumF-Landeskoordinator Fredi Dahmer räumt zwar ein, das Afghanen häufig mit der Ablehnung ihres Asylantrags rechnen müssten. Abgeschoben würden dennoch im Grunde genommen nur ganze wenige. "Wer als minderjähriger Flüchtling nach Deutschland kommt, ein Zuhause hat und sich einigermaßen aufführt, braucht eigentlich keine Angst zu haben, abgeschoben zu werden", ist er überzeugt.

Das bayerische Innenministerium betont, es könne sich nicht zu Einzelfällen äußern. Jeder Fall müsse individuell beurteilt werden, sagte ein Ministeriumssprecher. Dabei spiele etwa eine Rolle, ob ein Asylbewerber bereits eine Berufsausbildung begonnen habe oder sogar eine qualifizierte Berufsausbildung habe.

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