Brigitte Burkert: Hilfe im Sterben statt Hilfe zum Sterben

18.1.2018, 12:00 Uhr
Brigitte Burkert: Hilfe im Sterben statt Hilfe zum Sterben

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Frau Burkert, wie kamen Sie auf die Idee, sich als Hospiz- und Trauerbegleiterin zu engagieren?

Brigitte Burkert: Ich war früher als Beamtin im Justizdienst tätig. Nach dem Rückzug aus dem aktiven Arbeitsleben hatte ich Kraft und Zeit für eine ehrenamtliche Tätigkeit. Eine ältere, schlicht wirkende Frau berichtete mir vor vielen Jahren über ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Hospiz in Nürnberg. Die innere Freude, die sie dabei ausstrahlte, wirkte auf mich inspirierend und weckte in mir das Interesse und den Wunsch, mich dieser Aufgabe zu stellen. Voraussetzung dafür ist eine Ausbildung zur Hospizbegleiterin. Sie sensibilisiert für den Umgang mit Menschen am Ende ihres Lebens.

Wie viel Zeit bringen Sie für diese Tätigkeit ein?

Burkert: Einmal wöchentlich – wenn möglich samstags — bin ich im Einsatz auf der Palliativstation. Dort liegen Menschen mit einer fortgeschrittenen, unheilbaren Krankheit. Es steht nicht mehr die Heilung, sondern die Schmerzlinderung im Vordergrund. Mittlerweile kenne ich die Schwestern und Pfleger gut und fühle mich der Station zugehörig. So bin ich bei der Dienstübergabe des Pflegedienstes dabei und bekomme Informationen über den Patienten.

Wie sieht Ihre Tätigkeit aus?

Burkert: Ich begegne den Patienten möglichst einfühlsam. Ich höre ihnen gut zu, frage nach und versuche sie zu verstehen. Schwierige und belastende Themen greife ich nur auf, wenn die Patienten sie ansprechen. Dabei wende ich gedanklich die Scheunentor-/Rucksack-Regel an: Alle guten und schönen Dinge, die mir aus dem Leben erzählt werden, kommen in die Scheune und werden dort als Ernte aufbewahrt. Das Scheunentor darf ich als Hospizbegleiterin öffnen, hineinschauen und nachfragen. Im Rucksack ist alles Belastende aus einem Leben. Den Rucksack darf ich nicht öffnen. Seinen Inhalt kann mir der Patient aber zeigen, wenn er will. Dazu gehört auch das Thema "Tod und Sterben".

Können Sie aus Ihren Begegnungen am Krankenbett erzählen?

Burkert: Beispielsweise sitzt ein Patient apathisch auf seinem Stuhl und schaut aus dem Fenster ins Grüne, als ich hereinkomme. Ich will ihm kein Gespräch aufdrängen. Und doch wird der Kontakt immer lebendiger, als er von der lebensbedrohlichen Krankheit seiner Ehefrau erzählt. Gemeinsam haben sie die Belastung durchgestanden. Er wird gesprächiger und erzählt von seiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Feuerwehr. Als er von belastenden Bildern spricht, die ihm von Unfallopfern noch durch den Kopf schwirren, weint er. Er findet es ungerecht, dass ihm jetzt, da er Hilfe bräuchte, nicht geholfen wird. Trotzdem, sagt er, würde er sein Leben noch einmal so leben. Etwas vertrauter verabschieden wir uns.

Eine andere Patientin hat gerade Besuch von ihrer Nachbarin. Ich will die Plauderstunde nicht stören, werde aber als Gesprächspartnerin einbezogen. Die Patientin erzählt Erlebnisse und schildert dann ihre Empfindung, als ihr der Arzt die Diagnose Krebs bekannt gegeben hat: Es sei ein Gefühl gewesen, in Wasser einzutauchen und eine Glocke übergestülpt zu bekommen. Auf Vorschlag der Patientin philosophieren wir über Vorbestimmung und freien Willen. Sie erwähnt ihr Vertrauen zum "lieben Gott", das ist ein gelungener Abschluss — ich verabschiede mich.

Nach einer kleinen Pause klopfe ich bei einem älteren Herrn an. Der Besuch dauert nur kurz, da er heute kein Interesse an einem Gespräch bekundet. Mein nächster Kontakt fällt mir besonders schwer, da ich die Patientin persönlich kenne.

Die Arbeit ist also auch für Sie persönlich sehr belastend?

Burkert: Ja, aber die Patientin nimmt mir meine Beklemmung, sie freut sich über meinen Besuch. Sie spricht darüber, dass sie ihre Gedanken schlecht festhalten kann, weil sie immer wieder von großer Müdigkeit überfallen wird. Mein Angebot einer Handmassage, bei der sie entspannen und eindämmern kann, nimmt sie gern an. Als ihre Familie zu Besuch kommt, bittet sie mich noch zu bleiben.

Was hat es mit der Handmassage für die Patientin auf sich?

Burkert: Außer Gesprächen und kleinen Hilfen wie Essen und Getränke zu reichen biete ich gerne eine Handmassage an. Das gibt den Patienten oft mehr als gute Worte.

Haben Sie auch Erfahrung mit sterbenden Patienten?

Burkert: Natürlich gibt es auf der Station Menschen, die nicht mehr ansprechbar oder bereits im Sterbeprozess sind. Wenn der Tod näher rückt und das Bewusstsein schwindet, versuche ich in einen inneren Dialog mit dem Sterbenden zu gehen. Ich setze mich an seine Seite, befeuchte die Lippen, halte die Hand, summe vielleicht ein Lied oder spreche ein Gebet, wenn ich weiß, dass es gewünscht ist. Ich bin überzeugt: Wenn etwas wichtig ist, dann ist es die Hilfe im Sterben, nicht zum Sterben. Es kommt auch vor, dass ein Patient während meines Dienstes auf der Station stirbt. Dann geht es plötzlich nicht mehr um den Sterbenden, sondern um die Hinterbliebenen. Sie brauchen jetzt Beistand und Trost. Auch ein Abschiedsritual kann ihnen guttun.

Sie sind also auch für die Angehörigen der Patienten da?

Burkert: Ja, oft haben sie großen Gesprächsbedarf. Ich höre ihnen zu und nehme ihre Sorgen und Ängste ernst. Es gibt manchmal auch dringende Fragen über die Aufgaben des Hospizvereins und die weitere Unterbringung in einem Hospiz.

Erinnern Sie sich an eine besonders bewegende Erfahrung?

Burkert: Auf der Palliativstation gibt es einen Musiktherapeuten, der den Patienten positive Erfahrungen mit Klängen anbietet. An einem Nachmittag setzte er sich mit einem Patienten ins Wohnzimmer zum Musizieren mit Schifferklavier und Mundharmonika. Ich besuchte gerade einen Patienten mit Demenz im fortgeschrittenen Stadium. Er fühlte sich eingesperrt, war ärgerlich und stellte immer wieder dieselben Fragen. Wir folgten den Klängen der Musik und setzten uns dazu. Der Patient konnte mehrere Strophen vieler Volkslieder singen. Später kam seine Frau dazu, die kräftig mitsang. Ich war sehr berührt von der Fröhlichkeit, die unsere Runde ausstrahlte. Das Ehepaar sang mit voller Überzeugung und blickte sich glücklich in die Augen: "Du, Du liegst mir im Herzen…".

Halten Sie ihre Begegnungen schriftlich fest?

Burkert: Nach jedem Patientenbesuch schreibe ich eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs, um mich für den nächsten Besuch öffnen zu können. Denn jedes Mal gestaltet sich mein Besuchstag völlig anders. Ich fühle mich immer wieder beschenkt durch das Vertrauen, das mir die Patienten entgegenbringen.

Wie kommen Sie mit all dem Leid zurecht, das Sie miterleben?

Burkert: Ich antworte mit der Dichterin Hilde Domin: "Jeder, der geht, belehrt uns ein wenig über uns selber." Interview: GUNTRAM RUDOLPH

Brigitte Burkert ist 63 Jahre alt und verheiratet. Sie lebt in Spalt. Vor mehreren Jahren suchte sie eine ehrenamtliche Tätigkeit. Sie machte eine Ausbildung zur Hospizbegleiterin und ist seitdem als Hospizbegleiterin auf der Palliativstation der Kreisklinik Roth im Einsatz. Einmal wöchentlich geht sie auf die Station, spricht mit den Patienten, streichelt und massiert sie oder unternimmt an sonnigen Tagen Spaziergänge mit ihnen. Das Pflegepersonal schaut immer wieder ins Zimmer und reagiert sofort, etwa wenn am Gesicht der Patienten Schmerzen abzulesen sind. Nach jedem Besuch schreibt Brigitte Burkert eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs oder der Erlebnisse mit dem Patienten oder der Patientin. Oft erlebt sie den Tod eines ihr Anvertrauten, dann brauchen die Angehörigen ihre Zuwendung und ihren Trost.

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