Club-Aufsichtsrat Stefan Müller: Sacharbeit mit Gänsehaut

24.10.2015, 10:23 Uhr
Club-Aufsichtsrat Stefan Müller: Sacharbeit mit Gänsehaut

© Foto: Hertlein

Im Gespräch über die erste Bilanz dieses Ehrenamts in der Chefetage des Clubs:

Herr Müller, am 11. Oktober fand die erste Hauptversammlung mit Ihnen als Aufsichtsrat statt, eine Woche darauf gab es daheim ein kurioses 1:1 gegen den FSV Frankfurt. Eine nervenaufreibende Woche liegt hinter Ihnen.

Stefan Müller: Das kann man sagen, aber persönlich habe ich die Versammlung gut überstanden, sehr gut sogar. Die Vorbereitung war zwar durchaus kompliziert, aber die Teilnehmer waren diszipliniert und vor allem sachlich orientiert. Das FSV-Spiel mit dem 1:1 war natürlich extrem blöd. Erneut haben wir die Chance liegen lassen, uns im oberen Teil der Tabelle zu platzieren und den Abstand zu den Aufstiegsrängen knapp zu halten. Dass der Schiedsrichter massiv mitgeholfen hat, ist bedauerlich, wir hätten das Spiel aber schon vorher entscheiden müssen.

Der Club und seinen Kulthymne, „Die Legende lebt...“: Kriegen Sie noch Gänsehaut, oder sind Sie nach all den Auf- und Abstiegen abgebrüht?

Müller: Ich kriege immer Gänsehaut, wenn ich diese Hymne höre. Das hat schon etwas Besonderes beim Traditionsverein.

Sie sind jetzt seit knapp einem Jahr Aufsichtsrat, der Beginn war eher holprig, um es salopp zu formulieren.

Müller: Wir sind im September 2014 in eine Situation gekommen, die uns in dieser Dimension sicher relativ unerwartet getroffen hatte. Wir hatten ein Umfeld vorgefunden, das sehr zerstritten, das zutiefst verunsichert war. Hinzu kamen mangelnder sportlicher Erfolg und eine Vorstandschaft, die schwer beschädigt war. Das war ein denkbar schlechter Einstieg. Insofern war es von Anfang an eine heikle Aufgabe gewesen.

Was hat Sie seinerzeit motiviert, so ein Amt anzustreben?

Müller: Ich war der festen Überzeugung und bin es immer noch, dass meine sonstigen beruflichen Tätigkeiten dem Ehrenamt als Aufsichtsrat zugute kommen können. Der Kick war emotionaler Art, wenn man dem Verein, dem man seit 30 Jahren hinterherrennt und die Treue hält, unter Umständen helfen kann. Ich habe oft, wo immer ich beruflich unterwegs war, etwas Häme und Spott anhören müssen, da will ich entgegensteuern. Was mich bei meinem Einstieg unheimlich genervt hatte, war die öffentliche Diskussion über Interna.

Was sind wesentliche Weichenstellungen, seit Sie dabei sind?

Müller: Es gibt zwei neue Vorstände mit Michael Meeske und Andreas Bornemann, da gibt es große Begeisterung. Als wir hier angetreten waren, gab es teilweise verhärtete, verkrustete Fronten und Strukturen. Diese aufzubrechen, war erst einmal schwierig. Im Februar 2015 wurde der Vertrag mit dem damaligen Finanzvorstand Ralf Woy nicht verlängert. Ende September verließ auch Sportvorstand Martin Bader den Verein. Wir haben ein neues Vorstands-Ressort entwickelt, das neben Finanzen und Verwaltung auch Marketing und Öffentlichkeitsarbeit unter sich vereint, Kompetenzen also hier bündelt. Der „Vorstand Sport“ hingegen kann sich voll auch seine Hauptaufgabe konzentrieren – den fußballerischen Erfolg. So gibt es auch keinen sportlichen Leiter namens Wolfgang Wolf mehr. Diese nie klar definierte Position ist komplett gestrichen worden.

Waren Ärger und Frust Wegbegleiter in der Anfangszeit?

Müller: Die unsachlichen und teilweise unglaublich polemischen Angriffe auf Aufsichtsratssprecher Thomas Grethlein haben mich geärgert. In Foren wurde zudem der neue Finanzvorstand Meeske aufgefordert, sich von Grethlein und auch mir fern zuhalten. Da frage ich mich: Was glauben denn die Leute, wer Meeske motiviert hat, hierher zum Club zu kommen, seinen Vertrag verhandelt und die Rahmenbedingungen für ein vernünftiges Arbeiten geschaffen hat. Er war ja auf St. Pauli hoch anerkannt und in ungekündigter Position.

Reizthema vor allem für Sie Ex-Vorstand Martin Bader.

Müller: Auch hier erfolgte die Trennung, ohne konkrete Interna nach außen zu tragen. Es gab Gründe. Fredi Bobic, Oliver Kreuzer oder auch Jens Lehmann wurden öffentlich häufig gehandelt. Es gab viele Gespräche. Wir haben uns für Andreas Bornemann entschieden, weil er unter anderem auch die intensive Weiterentwicklung junger Spieler forcieren soll. Aus seiner Zeit beim SC Freiburg bringt er hier eine fundierte Expertise mit, die auch unserem Nachwuchs-Leistungszentrum helfen kann. Wir haben viele Strukturen bereinigt. Meeske und Bornemann haben nun die Chance, sich so zu profilieren, wie es bei der Hauptversammlung bereits geschehen ist.

Sie haben es binnen eines Jahres geschafft, zum Buhmann für einige der angesprochenen anonymen Internet-Aktivisten zu werden. Warum?

Müller: Na ja, ich bin gewählt worden mit 1000 Stimmen, ich habe auch bei der jüngsten Hauptversammlung unheimlich viel Vertrauen bekommen. Aber ich habe damals nicht für den Vorsitz des Aufsichtsrates kandidiert. Das hatte verschiedene Gründe. Ich war angetreten, um mein berufliches Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Ich bin viel unterwegs und das bedingt, dass ich nicht so oft vor Ort sein kann. Ich habe Dr. Grethlein als sehr vermittelnd, vor allem aber analytisch denkend und handelnd kennengelernt und war sehr froh, dass er sich 2014 bereit erklärt hat, den Vorsitz zu übernehmen.

Und Grethlein vertritt den Aufsichtsrat nach außen?

Müller: Wir hatten uns intern geeinigt, dass eben nur der Vorsitzende in der Öffentlichkeit spricht, dabei die Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Daran hatte ich mich mit einer Ausnahme, ein Internet-Interview, gehalten. Ansonsten war ich zwölf Monate für die Öffentlichkeit in der Versenkung verschwunden gewesen, weil das auch mein Selbstverständnis meiner Arbeit ist. In der Öffentlichkeit stehen die beiden Vorstände, der Trainer die Mannschaft. Alle Aufsichtsräte, die in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit gestanden hatten, waren nicht förderlich für den Verein. Da kam dann die Kritik, was ich eigentlich mache. „Von dem liest man nichts, von dem hört man nichts“, hieß es. Und man hat mich gerne als Bader-Boy, beschimpft und mein Handeln darauf reduziert.

Wie viel Bader-Freund waren Sie, sind Sie?

Müller: Wir hatten seine Arbeit durchaus kritisch hinterfragt. Ich bin 2014 aber gerade auch deswegen angetreten, den radikalen Kahlschlag zu verhindern, der da geplant war, der aber für mich damals auch keinerlei Alternativen angeboten hatte. Das galt für Grethlein, Bisping, Gömmel und für mich sicherlich gleichermaßen, die wir da neu angetreten waren. Bei Motorsportveranstaltungen in Nürnberg, die ich beruflich für Auto Bild Motorsport am Norisring organisiert hatte, entstanden gemeinsame Bilder mit Bader oder auch Christian Möckel, der jetzt beurlaubt wurde. Martin Bader aber hat mich weder dazu animiert zu kandidieren noch gab es hier irgendein Geklüngel.

Aber Sie haben Martin Bader lange unterstützt.

Müller: Ich war Bader-Symphatisant, das gebe ich zu, weil ich in seiner Ära gesehen habe, dass wir überwiegend Bundesliga gespielt und den Pokal geholt hatten. Ein Satz hat mich immer geärgert: Pokalsieger ist Hans Meyer geworden, abgestiegen ein Jahr später ist Martin Bader. Stichwort verkrustete Strukturen. Man hat es mir übel genommen, dass ich mich nach außen hin nicht gegen Bader positioniert hatte, bis zur Vertragsauflösung. Zu meiner Aufgabe als Aufsichtsrat gehört aber auch, aktive Mitarbeiter zu schützen und zu unterstützen. Nicht, sie öffentlich zu demontieren! Darauf können sich auch die aktuellen Vorstände verlassen.

Würden Sie im Rückblick nochmals kandidieren?

Müller: Ja, weil ich das Amt mit Lust und Leidenschaft ausführe. Was in zwei Jahren ist, wird man sehen.

Was haben Sie persönlich bewirkt?

Müller: Bewirkt habe ich hoffentlich ein Stück weit, dass es mit der Team-Arbeit voranging. Fußball ist Mannschaftssport, die Arbeit im Aufsichtsrat auch. Im Team haben wir auch bewirkt, dass es eine vernünftige Diskussionskultur im Aufsichtsrat gibt, die dann auch Ergebnisse zu Tage beförderten. Davor wurde viel diskutiert und es wurden wenig Ergebnisse erzielt, das muss man rückwirkend deutlich sagen. Wir haben der Marketing-Abteilung Sponsoren im sechsstelligen Bereich zugeführt. Wir haben einige Grundlagen geschaffen, dass wir im nächsten und übernächsten Jahr Sponsoren haben. Ich bin selbstbewusst zu sagen, dass ich da viel Arbeit investiert habe.

Wie interessant ist der Club für Sponsoren?

Müller: Mein Ziel ist, den Verein auch außerhalb der Region für Sponsoren interessanter zu machen. Hier ist uns schon viel gelungen. Man hat mich belächelt, weil ich sagte, wir strecken unsere Fühler aber auch auf dem asiatischen Markt aus. Wir hatten jetzt schon zwei Delegationen aus China bei uns zu Gast. Vielleicht schaffen wir dort die Brücke zu neuen Sponsoren.

Sie waren Jahrzehnte im Stadion auf dem Familienblock 30 und in der Nordkurve als Fan, und plötzlich Haupttribüne: Umstellung geglückt?

Müller: Schlimmer war der Wechsel von der lauten Nord- in die ruhige Südkurve vor zehn Jahren. Ich müsste lügen, aber man sitzt natürlich angenehm auf der Haupttribüne, man hat einen guten Blick. Aber was einem fehlt, ist das Feeling für die klassischen zahlenden Fans. Ich gehe ab und zu mal rüber in die Südkurve und habe ja meine drei gekauften Dauerkarten behalten.

Hat Sie dieses Ehrenamt als Aufsichtsrat in diesem Jahr verändert?

Müller: Ja, aber es befruchtet sich gegenseitig mit dem Beruf. Man muss viel einbringen, aber ich habe auch viel gelernt über juristische Zusammenhänge, die komplizierten steuerlichen Aspekte und über die wirtschaftlichen Besonderheiten dieser Branche, über den Sport an sich, über gegenseitigen Respekt, Menschen und Vertrauen, Dinge, die mich auch beruflich und persönlich weiterbringen.

Und schlechte Erfahrungen?

Müller: Was mich am meistern erschüttert hat, ist die unglaubliche Art und Weise, wie man persönlich im Internet beleidigt wird von Leuten, die sich hinter Pseudonymen verstecken. Das hatte mir anfangs zu schaffen gemacht. Aber da lernt man schnell, sich ein dickes Fell zuzulegen.

Bei der Hauptversammlung trat ein einstiges Club-Idol, Marc Oechler, an und fiel gnadenlos durch, da sind Radioreporter Günther Koch und Meerrettich-Unternehmer Hanns-Thomas Schamel in den Aufsichtsrat zurückgekehrt: mit Folgen?

Müller: Das muss man differenziert sehen: Ich bedauere, dass wir keinen erfolgreichen ehemaligen Fußballer im Gremium haben, der auch konstruktiv mitarbeitet. Einen Frank Baumann oder Hans-Jürgen Brunner könnte man sich hervorragend vorstellen. Mit den angesprochenen Kollegen setze ich mich im Gremium selbstverständlich konstruktiv auseinander. Wir werden auch in der neuen Konstellation eine gute und zielführende Diskussionskultur pflegen, da bin ich sicher.

Ihre Visionen für den Club?

Müller (lacht): Ich singe gerne das Lied, „Europapokal...“ Das wichtigste Ziel ist der Aufstieg in die Bundesliga. Nur das schafft langfristige Perspektiven. Das zweite Ziel muss lauten, dort zu bleiben, langfristig! Und es muss wieder eine leidenschaftliche, sachorientierte Vereinspolitik geben.

Und das allererste Ziel sind heute drei Punkte beim Aufsteiger und Schlusslicht.

Müller: Gegen Duisburg muss es eigentlich ein Sieg sein, wenn wir unseren Ambitionen gerecht werden wollen. Und im Pokal am 27. Oktober daheim gegen Düsseldorf ist ein Weiterkommen für die ökonomische Situation natürlich – neben der rein sportlichen Perspektive – sehr wichtig.

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