Dr. Christine Demele ist „Detektivin“ der Kunstgeschichte

31.1.2015, 07:50 Uhr
Dr. Christine Demele ist „Detektivin“ der Kunstgeschichte

© Foto: Robert Schmitt

Die Zeichnung ist bei den Arbeiten zu einem neuen Bestandskatalog gesichtet worden, in dem etwa 600 Werke Dürers sowie seiner Schüler und Kollegen aus der Universitätsbibliothek Erlangen dokumentiert und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen beschrieben worden sind. Leiter des Projekts war Professor Dr. Hans Dickel, zu dessen Team auch eine Schwabacherin gehörte.

Die Kunsthistorikerin Dr. Christine Demele hat als Spezialistin für Handzeichnungen etwa ein Drittel des Katalogs erstellt und dabei auch die Nürnberger Zeichnung begutachtet. Das Tagblatt hat mit ihr gesprochen.

Frau Demele, zunächst herzlichen Glückwunsch zu dem Forschungserfolg. Können Sie uns die Zeichnung näher beschreiben?

Dr. Christine Demele: Die aquarellierte Federzeichnung auf einem schmalen Büttenstreifen zeigt panoramaartig eine äußerst detailgetreue Stadtansicht Nürnbergs von Südosten. Um einige prägnante Orientierungspunkte herauszugreifen: Von links nach rechts sehen wir die Galgen an der Hinrichtungsstätte, die Ziegelhütten, den Frauentorturm, die Mauthalle, die damals das Neue Kornhaus war, St. Lorenz und St. Sebald, den Tiergärtnertorturm und die Burg. Des Weiteren folgen St. Egidien, der Laufer Schlagturm, rechts die Wöhrder Wiese und schließlich das Äußere Laufer Tor.

Zuvor gab es ähnliche Stadtansichten wohl nicht?

Demele: Frühere Darstellungen Nürnbergs waren wesentlich stilisierter. Am bekanntesten war sicherlich der Holzschnitt in der Schedelschen Weltchronik von 1493. Die panoramaartige Form findet man erst später ähnlich auf den Radierungen Hans Lautensacks aus dem Jahr 1552.

Wann ist die Zeichnung entstanden?

Demele: Leider ist das Blatt vom Zeichner nicht mit einer Jahreszahl versehen worden. Elfried Bock hatte sie 1929 lediglich in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts eingeordnet, Matthias Mende datierte sie im Jahre 2000 um 1540. Seine Einschätzung des Werks als „älteste zeichnerische Darstellung Nürnbergs“, die uns in dieser Art überliefert ist, hat weiterhin Bestand. Allerdings konnten wir die Entstehung der Zeichnung anhand städtebaulicher Details nun zwischen 1516 und 1528 festlegen. Und das ist sensationell früh.

Wie sind sie zu dieser neuen Einschätzung gelangt?

Demele: Meine Recherchen ergaben, dass die Zeichnung frühestens 1516 entstanden sein konnte. Denn in diesem Jahr erhielt der Tiergärtnertorturm seinen zweigeschossigen Aufsatz mit den vier Eckerkern, wie auf der Zeichnung dargestellt. Außerdem habe ich mit Helge Weingärtner einen ausgewiesenen Experten für die Nürnberger Stadtmauer hinzugezogen, dem anhand weiterer baulicher Details die entscheidende Beobachtung gelang.

Und die war welche?

Demele: Sämtliche Zwinger besitzen noch die mittelalterlichen Wehrgänge mit den Schießscharten, wie sie in den auf der Zeichnung sichtbaren Bereichen bis 1528 bestanden. Erst in jenem Jahr folgten Kanonenscharten und auch eine andere Bedachung, wie sie dann später zum Beispiel die bereits genannten Nürnberg-Prospekte Hans Lautensacks zeigen. Die Zeichnung dokumentiert also den Zustand vor den Umbauten 1528.

Das klingt ja nach echter Detektivarbeit. Wie kamen Sie darauf, dass der Künstler vor Ort gezeichnet hat?

Demele: Die Zeichnung zeigt eine äußerst detailgetreue Stadtansicht Nürnbergs, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat. Die exakte und differenzierte Darstellung legt nahe, dass der Zeichner vor Ort Skizzen angefertigt haben muss, wobei er sich zeitgenössischer Hilfsmittel zur Konstruktion bedient haben dürfte. Helge Weingärtner bestimmte die Standpunkte anhand der Blickachsen auf die Stadt südöstlich vor der Stadtmauer, im heutigen St. Peter und Gleisbühl. Die kleinteilige Ausarbeitung der Zeichnung sowie die Zusammenfügung der verschiedenen Perspektiven zu einem Panorama wird dann aber traditionell in der Werkstatt erfolgt sein.

Können Sie einige besonders beachtliche Details der Darstellung schildern?

Demele: Sicher. Der Künstler hat mit großer Sorgfalt gearbeitet und beispielsweise zwischen Stroh- und Ziegelbedachungen unterschieden, die Dächer aufwändig in unterschiedlichen Rottönen koloriert und die Spitzen wichtiger Kirchtürme mit Gold und Silber veredelt. Alle herausragenden Gebäude sind identifizierbar. Links neben dem Fünfeckturm der Burg ist ein Laubbaum zu sehen, der wohl eine der alten Linden darstellt, die auch Albrecht Dürer in seinen Aquarellen festgehalten haben soll.

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