Ein Glanzpunkt der Festivalgeschichte

1.5.2016, 08:33 Uhr
Ein Glanzpunkt der Festivalgeschichte

© Hans von Draminski

Seit dem durch den Wechsel der Leitung bedingten Kurswechsel des Festivals vor ein paar Jahren kann man in Wendelstein nun auch Popchart-Stürmer erleben. Solche wie den norddeutschen Sänger und Songschreiber Johannes Oerding, der mit dem Ohrwurm „Alles Brennt“ aus seinem gleichnamigen Album derzeit in aller Ohren ist. Dass die Eventhalle des FV Wendelstein bei Oerdings Auftritt am Freitag bestuhlt ist, hält den charismatischen Sänger mit der starken Raspelstimme nicht davon ab, den mit jungem und sehr jungem Publikum gut gefüllten Saal von der ersten Minute an zu rocken.

Der Aufforderung, doch bitte nach vorne zur Bühne zu kommen, kommen Oerdings überwiegend weibliche Fans mit sichtlicher Begeisterung in Windeseile nach – und von da an herrscht fette Partystimmung, die Johannes Oerding mit einem ganzen Bündel mitsingbarer Abgeh-Songs ganz selbstverständlich am Kochen hält: Durchhänger oder Atempausen gibt es nicht, sie werden aber auch nicht gebraucht. Denn die Energie, die Oerding versprüht, geht verzögerungsfrei auf das Publikum über, bis alles tanzt und springt und die Gefühle tatsächlich in hellen Flammen stehen. So mitreißend kann deutsche Popmusik sein.

Der italienische Soulsänger Mario Biondi, der in seiner Heimat zu den unangefochtenen Superstars zählt, kann tags darauf dieses Begeisterungsniveau leider nicht einmal annähernd erreichen. Biondi serviert ein (all zu) gepflegtes Programm, in dem er mit seinem unverwechselbar tiefem Sandpapier-Bass auf den Spuren Barry Whites wandelt, sich mit (zu) vielen Coverversionen bekannter Soulhits wie dem „Commodores“-Klassiker „Nightshift“ in typisch blank polierter Biondi-Manier auseinander setzt – und dabei merkwürdig blass bleibt.

Ein Glanzpunkt der Festivalgeschichte

© Hans von Draminski

Würde nicht die zahlreich erschienene italienische Fangemeinde Biondis lauthals muttersprachliches Liedgut fordern, für die deutschen Konzertgäste würde der besondere Stellenwert dieses Sängers ein Mysterium bleiben. Mit dem Wechsel weg vom Pop-Esperanto Englisch gewinnt allerdings auch der Künstler Mario Biondi Format und Kontur und lässt zumindest erahnen, warum er zuhause auf einen besonders prunkvollen Schild gehoben wird.

Nach durchaus enden wollendem Applaus – als Biondi seine letzte Zugabe singt, ist ein Teil der Zuhörer bereits unterwegs in Richtung Catering – wird es bei diesem Doppelkonzert Zeit für eine Frischzellenkur besonderer Art: Caro Emerald.

Die Holländerin hat vor ein paar Jahren eine neue Retro-Welle losgetreten und gezeigt, dass modern arrangierter Swingpop clubtauglicher Abtanzstoff für die Party-People von heute sein kann.

In Wendelstein startet Caro Emerald mitten in der Halle zu einem der fulminantesten Auftritte, den das Festival je erlebt hat. Auch jene, die sich von Mario Biondi zuvor entspannt berieseln ließen, sind bei der mädchenhaft wirkenden 35-Jährigen, die sich mit Petticoat und Würfelkaro-Oberteil ganz auf Rock’n’Roll-Girl gestylt hat, auf den Beinen.

Was auch daran liegt, dass Caroline Esmeralda van der Leeuw mit ihrem Retro-Pop seinerzeit einen Nerv getroffen hat, dass die Zeit einfach wieder reif war für mondäne, elegante Tanzpalast-Musik jenseits des Bigband-Swings.

Caro Emerald setzt auf knackige, in sich sehr stimmige und vor allem ebenso dichte wie groovige Arrangements, die ganz bestimmt nicht „In the Middle of Nowhere“ stecken bleiben, sondern punktgenau ins Gefühlszentrum treffen.

Ein Glanzpunkt der Festivalgeschichte

© Hans von Draminski

Wenn sie sich ausnahmsweise einen Song von einer Kollegin ausborgt, wird prompt etwas Besonders daraus: Meghan Trainors „All About That Bass“, sarkastische Hymne auf die Reize etwas üppigerer Frauen, wird bei Caro Emerald zum selbstironischen Bekenntnis mit hohem Schmunzelfaktor.

Das „schockierende Fräulein Emerald“ (wie ihr zweites Album von 2013 übersetzt heißt) ist freilich mehr als eine talentierte Hitproduzentin. Ihre musikalische Spurensuche in der Mottenkiste der Unterhaltungsmusik vergangener Jahrzehnte fördert auch ein verschüttet geglaubtes Lebensgefühl wieder zu Tage, wertvoll gerade in Zeiten wie diesen: ungebremste Feierlaune, nicht nur in „A Night Like This“, sondern immer wieder...

Keine Kommentare