Ein Humanist schreibt die Göttergeschichte neu

8.11.2013, 09:12 Uhr
Ein Humanist schreibt die Göttergeschichte neu

© Schmitt

Homer, den Vater der Odyssee und der Illias, hat er wohl dort kennen gelernt. In seinem jüngsten Werk hat der „scharfsinnige Chronist in der Tradition der Aufklärung“, wie ihn Moderator Klaus Neunhoeffer bei seiner Einführung zum LesArt-Auftritt nannte, den Mythen des blinden Dichters neues Leben eingehaucht.

Leben und Leid

„Vor der Zeit: Korrekturen“ hat Hein seinen Band mit 24 Kurzgeschichten über Leben, Leiden und allzu menschliche Begierden der griechischen Götter genannt. Angelehnt an die jeweils 24 Gesänge Homers in seinen beiden Hauptwerken: dem Kampf der griechischen Helden um Troja und der anschließenden Irrfahrt des Odysseus.

Christoph Hein korrigiert aber eigentlich nicht nur. Er entwickelt die Charaktere weiter und entspinnt auf diese Weise absurd-heitere Geschichten, die antike Topoi und moderne Zeiten zusammenführen.

Eros, der Sohn von Zeus und Aphrodite, beispielsweise wünscht sich von seinem Vater, immer drei Jahre alt zu bleiben. Seiner Mutter schwatzt er die Liebes-Pfeile ab. Eine auf das Herz gezielte goldene Pfeilspitze entfacht die Leidenschaft, eine bleierne tötet sie ab. Eros setzt sie so wild wechselnd ein, dass allerhand Verwirrung unter Menschen und Göttern entsteht.

Verlogene Götter

Den Kapitalismuskritiker und Systemskeptiker in sich lässt der Autor in der Geschichte „Väter und Söhne“ aufblitzen. Die Götter werden dabei zu habgierigen und verlogenen Unternehmern, die sich mit Orakeln in jedem Ort rund um das Mittelmeer so starke Konkurrenz machen, dass Zeus entscheiden soll. Zwei Stunden Prozess führen zu einem klaren Ergebnis. „Kein Gott darf mehr als ein Orakel betreiben. Filialen sind verboten“, lautet sein Spruch.

Mit der Geschäftstüchtigkeit des eigenen Sohnes hatte der Chef des Olymp allerdings nicht gerechnet. Während seine Götterkollegen ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten, reichen Apollo 120 Minuten, um sie auszutricksen: Er installiert unterdessen 1205 neue Orakelschreine.

Hades, der Gott der Unterwelt, zettelt einen anderen Rechtsstreit an. Er verklagt den begnadeten Arzt Asklepios, weil er ihm die Beute streitig macht. Der Heiler holt zahlreiche Zeitgenossen von der Schippe des Totengottes, indem er Krankheiten und Seuchen erfolgreich bekämpft. „Fortgesetzter Diebstahl und Bestechung“ lautet der Vorwurf. Schließlich lässt sich der antike Doktor für seine Hilfe auch noch bezahlen. Dafür muss er sterben, finden die Richter Zeus und Achill.

Zu gediegen

Christoph Heins korrigierte Göttergeschichten sind grundsätzlich originell angelegt und sprachlich brillant ausgeführt. Sie mögen sogar geeignet sein, als fein ziselierte Parabeln zu wirken. Beim Vorlesen allerdings versandet der gute Ansatz. Hein drechselt viel zu gediegen. Es mangelt in seinem Vortrag meist an blankem Witz, es kommt kaum zu überraschenden Wendungen, es fehlt oft die packende Pointe. Schade.

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