Eine kleine Geschichte vom Tod

27.9.2014, 11:16 Uhr
Nicht zu unterschätzen: Die Minute. Innerhalb sechzig Sekunden kann so einiges geschehen.

©  Arno Burgi (dpa) Nicht zu unterschätzen: Die Minute. Innerhalb sechzig Sekunden kann so einiges geschehen.

Denn es geht um das düsterste aller nur denkbaren Themen: um den Tod. Um meinen Tod.

Leider bin ich so traditionell geprägt, dass ich im Gedanken an mein Ableben keinen steten Grund zur Heiterkeit erkennen kann. Deshalb mache ich eher selten Witze darüber. Muss ich aber auch gar nicht. Das erledigt mein Kollege Robert Gerner. Ganz locker und spontan.

Vor ein paar Tagen hatten wir Besuch in der Redaktion. Der Name ist Redaktionsgeheimnis. Der Herr ist seit Jahren in Schwabach sehr engagiert und deshalb so etwas wie ein guter alter Bekannter. Eigentlich wollte er nur kurz einen Terminhinweis abgeben.

Doch schon im Treppenhaus traf er Kollegen Gerner, der sich gerade eben von mir zu einem Termin verabschiedet hatte. Er schaute ihn mit ernster Miene an und wollte wissen, ob es denn wirklich stimme, „dass der Herr Wilhelm verstorben ist“.

Zum Glück ist Kollege Gerner ein anerkannter Virtuose in sensibler Kommunikation. Seine Antwort war deshalb ein Musterbeispiel stilvoller Pietät: „Wenn, dann muss das innerhalb der letzten Minute passiert sein.“

Ist das nicht köstlich! Kein Brite hätte es schwärzer formulieren können! Ich hab’ mich fast — naja - totgelacht.

Natürlich hat unser Gast auch bei mir selbst kurz vorbeigeschaut und mir versichert, wie schön es doch sei, mich wohlauf zu sehen. Dem konnte ich mich vollinhaltlich anschließen.

Der bittere Anlass zu dieser kleinen Fehlinterpretation meines Gesundheitszustands war die Traueranzeige eines — mir persönlich allerdings unbekannten — Namensvetters.

Deshalb nur nochmal zur Klarstellung (und natürlich um Kollegen Gerner vor weiterer Auskunftspflicht zu entbinden): Ich lebe noch.

Das sage ich übrigens in der ausdrücklichen Hoffnung, dass eine qualifizierte Mehrheit unserer Leserinnen und Leser dies als halbwegs akzeptable Nachricht interpretiert. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ich mich deprimiert hinter den nächsten Zug werfe.

Aber noch lebe ich. Das heißt: Ich gehe mal zuversichtlich davon aus, dass ich noch lebe, wenn Sie diesen Bericht irgendwann am Samstag oder Sonntag lesen. Wer weiß, was bis dahin noch passiert?

Deshalb bin ich extrem vorsichtig. Ich fliege weder in den Irak noch nach Syrien, nicht nach Gaza, in die Ukraine oder ins Ebola-Gebiet. Schon gar nicht fahre ich mit der Bahn. Und wenn, dann bitte ich bestimmt keine Jugendlichen, doch bitte leiser zu quatschen. Eine Familie hat diese verrückte Idee diese Woche ja ins Krankenhaus gebracht.

Ich bleibe einfach in der Redaktion. Hier ist es warm, trocken und nicht langweilig. Arbeit gibt es immer. Und sicher — sicher ist es auch.

Nur das neue Computersystem überfordert mich ein wenig. Nichts funktioniert. Dabei drücke ich jede Taste bestimmt sieben Mal hintereinander. Die kompetente Kollegin von der Technik sorgt sich schon um mich: „Ich kann das gar nicht mit anschauen: Du klickst dich ja zu Tode.“ Ich fürchte, sie könnte recht haben. Wenn ich tatsächlich wirklich einmal sterben sollte, dann doch bitte nicht wegen einer blöden Plastikkiste mit seltenen Erden und unendlich vielen Macken! Nur über meine Leiche!

Kürzlich hat mir jemand gesagt, ich würde immer einen so nüchtern ruhigen Eindruck machen. Aber der hat mich auch noch nie erlebt, wenn der Computer meine fast fertigen Artikel zerhäckselt. Dann hassknechte ich mich hemmungslos Richtung Herzinfarkt.

Und wenn ich nicht gestorben bin, dann klicke ich noch heute.

 

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