Glosse: Schwabach ist nicht Hollywood

16.12.2018, 05:58 Uhr
Butch Cassidy und Sundance Kid sind nicht nur verdammt charmante Western-Helden, sondern auch ein tröstendes Beispiel für einen verzweifelten Schwabacher Redakteur.

© AP Butch Cassidy und Sundance Kid sind nicht nur verdammt charmante Western-Helden, sondern auch ein tröstendes Beispiel für einen verzweifelten Schwabacher Redakteur.

Ein bisschen ernüchternd ist es ja schon. Aber das macht nichts. Denn immer, wenn ich gerade mal wieder was nicht auf die Reihe bekomme, fällt mir meine Lieblingsszene in meinem Lieblingswestern ein, und schon bin ich wieder gut gelaunt.

Butch Cassidy und Sundance Kid werden nach einem Zugüberfall verfolgt. Sie fliehen in die Berge und hoffen, dass auf dem Steinboden die Spuren ihrer Pferde nicht mehr zu sehen sind. Doch die Sheriffs haben einen Indianer dabei, und Indianer sehen alles. Die Jagd geht weiter. Die zwei Banditen sind fassungslos. "Kannst Du Spuren auf Stein lesen?", fragt Paul Newman entgeistert Robert Redford, "ich kann das nicht, wieso können die das?"

Ehrfurcht vorm Heute-Journal

Wenn es selbst Hollywood-Helden so geht! Genau das frage ich mich auch öfter. Einmal mehr am vergangenen Montag. Zwar nicht im wilden Westen, sondern im zivilisierten Raum 2022 im Verlagshaus der Nürnberger Nachrichten, und auf der Flucht war ich auch nicht, sondern nur auf Fortbildung: Video-Schulung per iPhone. Filmen für Anfänger.

Seit diesem Montag sehe ich das Heute-Journal mit ganz anderen Augen. Voller Ehrfurcht. Wie lässig und doch seriös Claus Kleber moderiert! Wie unfassbar fehlerlos Gundula Gause die Nachrichten vorträgt! Kein Ähh, kein Versprecher, kein rollendes Rrrr. Wie wackelfrei die Kameramänner filmen! Und wie Katja Horneffer selbst bei schmuddeligstem Matsch noch ganz entspannt lächelt.

Wieso können die das? Ich kann das nicht!

Aber das soll sich ja nun ändern. Deshalb sitze ich mit elf Kolleginnen und Kollegen im Raum 2022. Ein paar junge Leute, die schon als Baby in ihre Handys gebläkt haben, und alte Print-Redakteure wie ich, die noch immer am liebsten einfach Zeitung machen würden. Das aber ist sowas von 2010. Die Zukunft ist online. Morgens in der S-Bahn: Smartphone oder Zeitung? 1000:1 fürs Smartphone. Noch Fragen? Facebook, Twitter, kurze Texte, viele Bilder, am besten welche, die sich sogar bewegen. Videos eben. Da müssen auch Print-Senioren offen für Neues sein.

So einfach ist das

Na dann: Vor uns sitzt Kollegin L.H. Sie ist höchstens halb so alt wie ich und erzählt, wie fasziniert sie schon immer von Online-Journalismus war und wie eigentlich ganz einfach so ein Video doch sei.

Wieso kann die das? War ihr Uropa Indianer?

In den ersten zwei Stunden erklärt sie die Grundregeln. Zunächst versuche ich noch mit meinem profunden Vorwissen zu glänzen. Schließlich habe ich bei einem Unfall schon mal einen Feuerwehrmann interviewt. Handy hoch, drei Fragen, danke, fertig, alles super.

Peinlich, peinlich

Alles falsch! Grund: Man hört mich, sieht mich aber nicht. Stimmen aus dem Off gehen gar nicht, sagt L.H. Schon gar nicht Stimmen aus dem Off mit fränkischem Dialekt. Peinlich wirke das. Schließlich sind die Leute Claus Kleber gewöhnt. Deshalb schneide man die Fragen am besten heraus und verbinde die Antworten mit aussagekräftigen "Schnittbildern".

Klassische Interviews gingen natürlich auch. Aber dann bitte beide vor die Kamera. Das sollten wir doch gleich mal üben. Also baue ich das iPhone aufs Stativ, setze mich mit einem Kollegen vom Sport davor, drücke auf den roten Knopf und führe ein Spontangespräch über seine Liebe zu Zigaretten.

Für den Anfang...

Als wir das Resultat später vorführen, würde ich mir vor lauter Nervosität am liebsten selbst eine anzünden. L.H. ist gnädig. Aber ich sehe es ja selbst: Über unseren Köpfen ist zu viel Raum und ich sitze falsch. Man sieht mich meist nur im Profil. Das wirke abweisend, lerne ich.

Bei der einen Frage rede ich zu schnell, bei der nächsten lasse ich zu lange Pausen. Der Hintergrund ist eine kahle Wand, die Schnitte sind abgehackt. Mit 2:38 Minuten sei es etwas lang, wir wollen den Leuten ja nicht die Zeit stehlen. Das Thema ist ohnehin eher bemüht. Und für den Ton solle ich das Mikro doch etwas tiefer ans Hemd stecken, sonst klingt’s so übersteuert.

Also bis auf Inhalt, Sprache, Schnitt, Ton, Haltung, Länge und Drehort sei das für den Anfang "nicht extrem peinlich", sagt L.H.

Ich wusste gleich, dass ich Talent habe. Steven Spielberg hat auch nicht mit dem Oscar angefangen. Und selbst wenn ich mich blamiere, was soll’s? Ich hab ja immer noch Butch und Sundance.

 

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