Heim in der Wallenrodstraße besteht seit 20 Jahren

27.8.2014, 08:30 Uhr
Heim in der Wallenrodstraße besteht seit 20 Jahren

© Schmitt

Eltern schicken ihre Kinder auf den Strich, misshandeln sie extrem oder lassen sie verwahrlosen. Säuglinge zwischen hüfthohem Müll und Kothaufen, Kleinkinder vor vergammeltem Essen, Pubertierende unter Alkoholikern und Verbrechern. „Wir schützen Kinder vor ihren Eltern“, sagt die 48-jährige Annette Bogner.

Wenn eines der Jugendämter Nordbayerns aufgrund katastrophaler Verhältnisse keine Wahl mehr hat und Kinder in Obhut nehmen muss, wie es fachlich heißt, dann klopfen sie oft an die Tür des Backsteinbaus in der Schwabacher Wallenrodstraße. Seit 20 Jahren leitet das Pädagogenehepaar Annette und Harald Bogner dort ein Heim der Jugendhilfe.

Für die schwierigen Fälle

Regelmäßig leben in dem Haus bis zu sieben Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen wie in einer Familie zusammen. „Schwer erziehbar, wie man oft hört, das gibt es nicht“, sagt Annette Bogner, „denn Kinderverhalten ist immer das Ergebnis des Entwicklungsumfelds“. In einer stationären Einrichtungen mit heilpädagogischer Ausrichtung landen nach richterlichem Beschluss oder Antrag der Eltern ohnehin ausschließlich die schwierigen Fälle. Für Kinder mit geringerem Hilfebedarf sieht das Gesetz die Unterbringung in Pflegefamilien vor.

Die Initiative familienähnlicher Kleinstheime, wie der Trägerverein der Einrichtung heißt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kindern und Jugendlichen den Weg in ein gutes Leben zu bereiten. Harald Bogner ist der Vorsitzende, seine Frau führt die Geschäfte. In 20 Jahren haben etwa 60 Schützlinge ihr Haus als junge Erwachsene verlassen. Oft haben sie dort also die gesamte Kindheit und Jugend verbracht. Zu vielen haben Harald und Annette Bogner noch Kontakt. Einige haben heute bereits selbst Familie. Bei anderen waren die Belastungen aus dem Vorleben zu groß. „Manchmal kann man nicht alles ausgleichen“, sagt Bogner, der einige seiner Ehemaligen auch schon vor Gericht wiedergetroffen hat.

Großes Vertrauen

Das Vertrauen von Jugendämtern und Heimaufsicht hat das nicht beeinträchtigt. Die Schwabacher genießen bei Kunden und Kontrolleuren in ganz Bayern einen hervorragenden Ruf. Fünf Sozialpädagogen kümmern sich auf viereinhalb offiziellen Stellen um die Kids. Jeder Tag kostet pro Kind 147 Euro. Bezahlt wird es von Landkreisen und kreisfreien Städten.

Für Sonderwünsche braucht das Heim allerdings Sondermittel. Jährlich fließen Gelder aus gerichtlichen Bußen sowie Spenden von Firmen und Privatleuten in die Wallenrodstraße. Finanziert werden damit Freizeiten, Möbel oder Geschenke.

80 Prozent des Tagessatzes fließen in das Personal. „Wir arbeiten stark über Beziehungen, so vermitteln wir Normen und Werte“, sagt Annette Bogner. Viele der Kinder erleben in der Wallenrodstraße erstmals, wie eine echte Familie funktioniert. Sie wissen oft gar nicht, was eine Geburtstagsfeier ist, wie Tischregeln aussehen, dass Weihnachten gefeiert wird und man mal ein Buch lesen könnte. Das IfK-Heim gilt bei den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe als Einrichtung, die vor allem gute Rahmenbedingungen für ganz junge Kinder bietet. „Das ist ein Stück mehr Arbeit, die uns die Ämter zutrauen“, sagt Harald Bogner. Die Erfolge in ihrem Haus führen Annette und Harald Bogner auf die gute Zusammenarbeit im Team und auf die personelle Konstanz zurück. „Darüber sind wir sehr glücklich“, sagt das Paar.

Neues Konzept entwickelt

Sein enormes Renommee hat sich das Heim unter der Leitung der Bogners ab 1994 hart erarbeitet. Denn gegründet wurde es unter anderer Leitung bereits 1981 in der Liebigstraße. Dann brachte es ein Missbrauchsskandal um den Gründer und ehemaligen Leiter an den Rand der Schließung. Harald und Annette Bogner arbeiteten damals in einem Heim in Reichelsdorf. Als Schwabach abgewickelt werden sollte, ergriffen sie ihre Chance. „Wir haben ein neues Konzept geschrieben und an die Jugendämter verschickt, neues Personal eingestellt und über unsere Kontakte neue Kinder bekommen“, so Bogner. Die Jugendhilfe befand sich zu dieser Zeit durchaus ebenfalls im Umbruch.

Erst am 1. Januar 1991 hatte der achte Teil des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) abgelöst. Das JWG stammte noch aus den 1920er Jahren. Es betrachtete die Erziehung von Kindern und Jugendlichen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, indem es die Behandlung auffälligen Nachwuchses regelte. Demgegenüber stellte das SGB VIII ein modernes Instrumentarium von Hilfeleistungen für die Erziehung zur Verfügung, die das Jugendamt zu einem Dienstleister für Eltern und andere Personensorgeberechtigte machen sollten.

In diesem Rahmen hat sich auch das Haus an der Wallenrodstraße weiterentwickelt. Seit 1998 bietet es in Schwabach mobile Erziehungshilfen an. Ab 2007 haben Annette und Harald Bogner auch die soziale Gruppenarbeit in ihr Programm aufgenommen. „Unser Ziel war es schon immer, ein Jugendhilfezentrum zu sein“, sagen sie.

Das stumme Kind ohne Zähne kann nach Jahren der Förderung bei den Bogners und im heilpädagogischen Kindergarten der Lebenshilfe aller Voraussicht nach sogar die Regelschule besuchen. Dennoch würden sich Annette und Harald Bogner manchmal ein früheres und bedarfsgerechteres Eingreifen der Jugendämter wünschen. Damit die Kinder nicht erst in die Wallenrodstraße kommen, wenn ihnen bereits die Zähne rausgefault sind.

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