In den großen Fußstapfen von Nora Nova und Ulla Wiesner

30.5.2015, 08:35 Uhr
In den großen Fußstapfen von Nora Nova und Ulla Wiesner

© Julian Stratenschulte (dpa)

Also, ehrlich gesagt: Mir hat ja dieser weiche französische Name immer besser gefallen. Als Kinder sind wir so zum ersten Mal mit der Sprache unserer westlichen Nachbarn in Berührung gekommen. So lernten wir, dass man zu den Niederlanden auch Pays-Bas (gesprochen: Beybà) sagen konnte und dass Großbritannien den wirklich schönen Namen Royaume-Uni (gesprochen: Waiomüni) trägt. Im Pausenhof waren wir die Könige, wenn wir „douze points“ (zwölf Punkte, gesprochen: duuspoa) für ein Kunststückchen erhielten, während die Kollegen mit den „quatre points“ (vier Punkte, gesprochen: katrepoa) bei den Mädels nicht ganz so hoch im Kurs standen.

Übrigens: Weil sich fränkisches Französisch immer ein bisschen provinziell anhört, habe ich in der Schule später Latein gewählt, sehr zum Leidwesen meines Lateinlehrers.

Gut, aber ich schweife ab. Zurück zum Musiker-Wettstreit. Fanden Sie nicht auch, dass der deutsche Beitrag nicht so schlecht war, wie es das Endergebnis auszudrücken versucht?

Aber vielleicht hätten wir halt doch eine andere Sängerin hinschicken sollen, als diese weithin unbekannte Nora Nova, die mit ihrem Schmachtfetzen „Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne“ weder die Dänen noch die Belgier, weder die Spanier noch die Schweden hinter dem Ofen hervorlocken konnte. Null Punkte für Deutschland. Das war übrigens 1964, bei der neunten Auflage des damaligen „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ in Kopenhagen.

Wir gewöhnten uns danach nicht wie von Nora Nova versprochen an das Schöne, sondern an das Schlechte. Denn auch eine gewisse Ulla Wiesner schaffte wie ihre Vorgängerin im darauffolgenden Jahr mit „Paradies, wo bist Du“ schon wieder einen „Salto Nullo“.

Nach Nora Nova und Ulla Wiesner ging es mit dem deutschen Liedgut dann allerdings steil bergauf. Wir bangten mit Katja Ebstein („Theater“, Platz zwei!), tanzten mit „Dschingis Khan“ und fanden sogar Stefan Raab („Wadde hadde dudde da?“) ganz lustig. Wir feierten im heimischen Wohnzimmer mit Nicole („Ein bisschen Frieden“) und im Auto-Korso mit Lena („Satellite“) zwei Siegerinnen.

Doch in den letzten Jahren designen die deutschen Grand-Prix-Komponisten ihr austauschbares Liedgut offenbar am europäischen Massengeschmack vorbei.

Unsere 2015er-Einwechselspielerin Ann Sophie – Vorentscheids-Gewinner Andreas Kümmert hatte ja rechtzeitig die ESC-Taste gedrückt – vernebelte mit „Black Smoke“ offenbar alle Sinne. Ein bisschen Popo-Gewackel und ansonsten keine Show war halt doch ein bisschen wenig in all dem Glitzer-Prunk in der Wiener Stadthalle.

Allerdings war Ann Sophie auch nicht so schlecht wie manch andere. Albanien zum Beispiel, dieses arme, schöne Land in Südosteuropa, schickte mit Elhaida Dani eine schöne Frau nach Österreich, die wirklich alles konnte, nur nicht singen. Sie erhielt trotzdem 34 Punkte (davon tatsächlich zweimal „douze points“, die Höchstpunktzahl) und war damit besser als Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Das, ganz ehrlich, kann man nicht mehr ernst nehmen.

Ich plädiere jetzt für eine Reform des Lieder-Wettstreits. Letzte Plätze sollten nicht mehr folgenlos bleiben. Stattdessen müssten die Verlierer in die 2. Sängerliga absteigen. Ann-Sophie und ihre Komponisten müssten sich dann nächstes Jahr gegen Länder wie Andorra, Liechtenstein und Gibraltar, gegen die Färöer-Inseln oder den Vatikanstaat um die Wiederaufnahme in den erlauchten Kreis der „Top 40“ bewerben. So hätte das Gedudel wenigstens ein bisschen sportlichen Charakter.

Die nationale Warm-up-Party und die After-Show-Sause müssten in diesem Fall nicht mehr aus Hamburg live übertragen werden. Dann würde auch, sagen wir mal, der Schwabacher Königsplatz genügen. Vielleicht sollten wir dazu Nora Nova, inzwischen 87 Jahre alt, und Ulla Wiesner einladen.

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