„In den Krater hätte man ein Haus hineinstellen können“

16.3.2013, 07:19 Uhr
„In den Krater hätte man ein Haus hineinstellen können“

© Gerner

Vermutlich auch deshalb, weil es keine schriftlichen Dokumente gibt. Es hat sich in den letzten Kriegstagen buchstäblich alles in Rauch aufgelöst.

Doch wenigstens gibt es noch Leute wie Georg Rahnhöfer. Der 83-Jährige aus Haag war damals, am 16. März 1945, 15 Jahre alt. Als kurz nach Mitternacht die Sirenen heulten, sprang er aus seinem Bett und kletterte mit etlichen weiteren Bewohnern von Haag in einen provisorisch ausgehobenen Bunker. Anziehen musste er sich nicht. „Zu dieser Zeit sind wir mit unseren Klamotten schlafen gegangen, weil es fast jede Nacht Bombenalarm gab“, erinnert er sich. Rahnhöfers Vater schaltete das Radio ein, und dort wurden große Bomberverbände der Alliierten gemeldet, die sich aus nordöstlicher Richtung Richtung Mittelfranken bewegten.

Zwei Bomber abgeschossen

Bald tauchten am Himmel Dutzende, vielleicht mehr als hundert Flugzeuge auf. In Schattenhof stand zwar eine Flugabwehr-Stellung, doch von dort wurde nicht geschossen. Vielmehr schickte die Wehrmacht eigene Flugzeuge in die Luft, um die Bomberverbände in Luftschlachten zu verwickeln. Zwei britische Bomber wurden nach Überzeugung von Georg Rahnhöfer über Schwabach abgeschossen. Einer schlug in Schwabach nahe der Penzendorfer Straße auf, der andere unweit von Kammerstein nahe des sogenannten Katzenweihers, allerdings auf der anderen Seite der heutigen Bundesstraße 466.

Weil die „Kammersteiner Lancaster“ ihre Bombenfracht noch an Bord hatte, explodierte die Maschine beim Aufschlag mit Urgewalt. „Wir haben die Druckwelle noch im zwei Kilometer entfernten Haag gespürt“, erzählt Georg Rahnhöfer.

Im näher gelegenen Kammerstein wurden Stromleitungen abgerissen und Dächer zum Teil abgedeckt, erzählt der Kammersteiner Heinrich Volkert, damals sieben Jahre alt. An der Absturzstelle klaffte ein riesiger Krater. „So groß und so tief, da hätte man ein Haus hineinstellen können“, sagt Augenzeuge Rahnhöfer.

Besatzungsmitglied gefangen

Doch was ist mit der üblicherweise siebenköpfigen Besatzung passiert? Mindestens ein englischer Soldat sprang rechtzeitig mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug und landete unverletzt in einer Wiese bei Haag. Georg Rahnhöfers Vater, einer der wenigen Haager, der aufgrund seiner wichtigen Stellung bei der Schwabacher Firma Schmauser nicht in den Krieg musste, stellte dem Mann mit einem Gewehr nach. „Hands up, Hands up“ habe sein Vater immer wieder in gebrochenem Englisch gerufen, erzählt Rahnhöfer. Nach kurzer Zeit habe sich der Engländer ergeben und „Help, help“ gerufen.

„Die Erwachsenen haben lange überlegt, was sie mit ihm machen sollen“, erinnert sich der heute 83-jährige Rahnhöfer. Zunächst wollten ihn NSDAP-Leute aus Schwabach mitnehmen. Dann jedoch schritt die Wehrmacht ein und brachte ihn weg. Vermutlich in ein Kriegsgefangenenlager. Doch spätestens in Schwabach verliert sich seine Spur. Bis zu seinem Abtransport, so erinnert sich Georg Rahnhöfer, wurde der Mann allerdings noch mit Tee bekocht. „Die Stimmung war keineswegs feindselig.“

Rahnhöfer selbst sah nach Tagesanbruch nahe der Flugzeug-Absturzstelle ein weiteres Besatzungsmitglied – tot, das Gesicht von der Explosion entstellt. Im Heidenberg seien in den Folgetagen ein oder zwei Fallschirme gefunden worden. Hatten weitere Besatzungsmitglieder überlebt und sich dann hinter die immer näher rückende Front durchgeschlagen? Das ist unklar.

Kaum Unterlagen

In Kammerstein ist nicht einmal der Flugzeug-Absturz als solcher schriftlich dokumentiert. „Aus dieser Zeit haben wir ganz, ganz wenige Unterlagen“, klagt Leonhard Heubeck, der viele Jahre lang das Kammersteiner Gemeindearchiv betreut hat. Heubeck, Jahrgang 1935, wie Rahnhöfer aus Haag, hat den Absturz des Bombers als Zehnjähriger erlebt. Vergeblich habe er am Tag nach dem Absturz versucht, an die Einschlagstelle zu gelangen. „Wir waren halt neugierig“, erzählt Heubeck. „Und wir hatten ja sonst wenig zu tun, weil es schon seit Anfang 1945 keinen Schulunterricht mehr gab.“ Die Absturzstelle hat er nur aus der Ferne sehen können. „Uns haben SS-Leute verscheucht.“

Was von der britischen Lancaster übrig ist, lagert gewissermaßen in einem Eimer im Keller von Volker Bauer. Eine alte Lichtmaschine, Teile der Plexiglasabdeckung, hinter der der Bordschütze saß; verbogene Eisenteile; das Glas einer Pilotenbrille. Immer, wenn das Feld frisch umgeackert ist, macht sich Bauer auf die Suche nach neuen Trümmerresten. Richtig Spektakuläres fällt ihm selten in die Hände. „Das riesige Loch wurde nach dem Krieg natürlich mit Bauschutt und allem möglichen eingeebnet“, vermutet der Gemeinderat.

Auf der Suche nach Fotos

Bauer hat aber die Hoffnung nicht aufgeben, dass es auf irgendeinem Kammersteiner Dachboden vielleicht doch noch das eine oder andere historische Foto aus diesen Tagen gibt, das ein wenig mehr Licht ins Halbdunkel bringen kann. Bis es so weit ist, versucht er die letzten Zeitzeugen zu befragen. Zeitzeugen wie Georg Rahnhöfer.

Der damals 15-Jährige hätte um ein Haar selbst noch in den Krieg ziehen müssen. Anfang April 1945 hatte er in die Kaserne nach Schwabach einrücken müssen, gemeinsam mit vielen weiteren Kindern und Jugendlichen. Das letzte Aufgebot des vermeintlich 1000-jährigen Reichs.

Nach ein paar Tagen Ausbildung in Schwabach wurden Rahnhöfer und seine Kameraden über Roth, Thalmässing, Titting und Eichstätt nach Neuburg an der Donau gebracht. Von dort ist er am frühen Morgen des 19. April 1945 getürmt. Fahnenflucht. Zu Fuß und als Sozius auf einem Motorrad hat er sich wieder nach Hause durchgeschlagen, wo er am 20. April von seiner Mutter in die Arme geschlossen werden konnte. Einen Tag zuvor hatten die Amerikaner Schwabach (und Kammerstein) eingenommen.

Für Rahnhöfer und für die Region war der Krieg vorbei.

Sollte es noch irgendwo Dokumente geben, die mit den letzten Kriegswochen in Kammerstein in Verbindung stehen, wäre CSU-Gemeinderat und CSU-Kreisvorsitzender Volker Bauer ein dankbarer Abnehmer. Seine Telefonnummer: (09122) 85400.

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