Kraftquelle für den Neustart in ein Leben ohne Gewalt

14.11.2015, 09:08 Uhr
Kraftquelle für den Neustart in ein Leben ohne Gewalt

© Foto: Wilhelm

Geleitet wird das Anna-Wolf-Frauenhaus Schwabach seit seiner Eröffnung von der Sozialpädagogin Andrea Hopperdietzel. Ein Gespräch über Hilfe in Extremsituationen, die Chance auf einen Neustart in ein Leben ohne Angst vor Schlägen, ein neues Beratungsangebot und den Besuch der „First Lady“.

Frau Hopperdietzel, am kommenden Freitag feiert das Frauenhaus 20. Geburtstag. Prominenteste Gratulantin ist Daniela Schadt, die Nürnberger Lebensgefährtin von Bundespräsident Joachim Gauck. Wie sieht denn das Programm für den hohen Besuch aus?

Andrea Hopperdietzel: Abends ist sie beim Festakt für geladene Gäste im Evangelischen Haus, schon am Nachmittag besichtigt sie das Frauenhaus. Normalerweise ist das Haus ja nicht offen, aber für sie machen wir eine Ausnahme. Frau Schadt möchte mit einigen Frauen ins Gespräch kommen. In einem ruhigen Rahmen. Deshalb ist nicht einmal Presse dazu geladen. Wir haben uns sehr über ihre Zusage gefreut.

Sie haben in den 20 Jahren als Leiterin sehr viele Frauen kennengelernt und betreut. Haben Sie noch Kontakt zur ersten Bewohnerin?

Hopperdietzel: Ja, sie wird sogar zum Festakt kommen. Ihr und ihren Kindern geht es gut. Das ist eine wunderbare Frau, die es nach sehr schweren Jahren geschafft hat, ihre Kinder sehr gut alleine großzuziehen und einen guten Weg zu finden. Sie sagt noch heute, dass das Frauenhaus dafür eine wichtige Kraftquelle war.

Das klingt nach einem sehr positiven Beispiel. Ist das eher die Ausnahme oder doch die Regel?

Hopperdietzel: Jedes Schicksal ist unterschiedlich. Aber alle Frauen wollen, dass die Gewalt aufhört. Dann gibt es zwei typische Fälle. Etwa ein Drittel der Frauen will ihrem Mann nochmal eine Chance geben und geht zurück. Viele Frauen sehen diese Chance aber nicht mehr und sind deshalb bereit, sich ein neues Leben in einer eigenen Wohnung aufzubauen. Auch wenn das wirklich enorm viel Kraft kostet.

Welche Erfahrung machen Frauen, die zurückgehen?

Hopperdietzel: Wenn es gut geht, dann findet man ein Arrangement, etwa um die Kinder großzuziehen. Aber dass daraus noch einmal eine liebevolle Beziehung wird, habe ich noch nie erlebt. Es kommt sogar immer wieder vor, dass Frauen sich mehrfach zu uns flüchten müssen.

Also raten Sie eher zu Trennung und Neuanfang?

Hopperdietzel: Zunächst einmal gewähren wir Schutz und Sicherheit. Schließlich ist nicht selten das Leben bedroht. Dann unterstützen wir die Frau dabei herauszufinden, was ihr Weg ist und welche Hilfen es gibt. Die Entscheidung aber trifft natürlich sie.

Wenn sich die Frauen für einen Neustart alleine entscheiden, was sind die größten Probleme?

Hopperdietzel: Da gibt es viele. Es ist ein Bruch mit Familie und oft auch Freunden. Fast immer ist die Trennung mit finanziellen Einbußen verbunden. Die wenigsten dieser Männer zahlen Unterhalt. Das größte praktische Problem ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Unsere Erfahrung ist leider, dass immer mehr Vermieter nicht an Hartz-IV-Empfänger vermieten. Und wenn sie dann auch noch Kinder haben oder gar einen Migrationshintergrund, dann haben wir allenfalls noch bei Wohnungsbaugesellschaften eine Chance. Aber auch das dauert Monate. Deshalb müssen immer mehr Frauen immer länger im Frauenhaus bleiben.

Wie ist die Stimmung im Frauenhaus? Eher gedrückt wegen der schwierigen Situation oder eher erleichtert, weil man sicher ist?

Hopperdietzel: Natürlich ist es eine Herausforderung, sich auf immer neue fremde Menschen einzustellen. Wir sind auch kein Kurhotel. Die Frauen kochen und putzen selbst, übernehmen sogar zum Beispiel Telefondienste und zahlen auch Miete. Aber insgesamt ist die Stimmung gut. Für die Frauen ist der Kontakt untereinander ganz wichtig. Sie erleben, dass es anderen ähnlich geht und können ihre Erfahrungen austauschen. Wir haben eine Art Gästebuch, in das die Bewohnerinnen kleine Widmungen eintragen können. Eine schreibt zum Beispiel: „Man fühlt sich nicht allein.“ Eine andere: „Das Frauenhaus war die beste Entscheidung. Sie haben mich gerettet.“ So etwas zu lesen rührt mich schon.

Seit 1. August bietet das Frauenhaus eine neue „proaktive“ Beratung. Was heißt „proaktiv“?

Hopperdietzel: Viele Frauen leiden jahrelang unter Gewalt, sie arrangieren sich, entschuldigen sie sogar. Manchen fehlt einfach die Kraft oder der Mut, von sich aus tätig zu werden. Deshalb rufen wir von uns aus die Frauen an, wenn sie nach einem Polizeieinsatz damit einverstanden sind, das die Polizei die Telefonnummer weitergibt.

Erste Erfahrungen?

Hopperdietzel: Wir haben schon fast 40 Frauen betreut. Der Bedarf ist riesig. Für diese Beratung stehen 15 Stunden pro Woche zur Verfügung.

Sie sind dabei entscheidend auf die Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen. Klappt die?

Hopperdietzel: Die Zusammenarbeit mit der Schwabacher Polizei klappt sogar sehr gut. Ebenso wie auch die Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht, dem Jugendamt und dem Jobcenter. Da funktioniert das Netzwerk in Schwabach. Auch von der Politik fühlen wir uns unterstützt.

Ein Wunsch zum 20. Jubiläum?

Hopperdietzel: Eigentlich sogar zwei. Zum einen 20 neue Mitglieder im Trägerverein „Hilfe für Frauen in Not“. Gerne auch Männer. Wir arbeiten ja nicht gegen Männer, sondern für Frauen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Zum anderen hoffen wir auf eine dauerhafte Finanzierung für unsere proaktive Beratung. Da laufen noch Gespräche mit der Stadt und den Landkreisen.

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