Leben mit Parkinson: "Wir führen eine Ehe zu dritt"

6.10.2017, 15:30 Uhr
Leben mit Parkinson:

© Foto: Petra Bittner

Die lässt den Lebensmut aber nicht sinken, sondern versprüht stattdessen Optimismus: Seit zwei Jahrzehnten leitet Edda Brandl aus Allersberg die Parkinson-Selbsthilfegruppe (SHG) Roth-Schwabach. Ein bedeutsames Jubiläum in schnelllebigen Zeiten, "in denen 'Parkis' eher unerwünscht sind".

Langsamkeit. Sie ist das, was Menschen wie Edda Brandl zum Leben brauchen. Doch eine digitale Welt kennt keine Ruhe. Der Globus soll sich gefälligst schneller drehen, immer schneller. Und trotzdem - oder eben deshalb - untermauert Edda Brandl ihr Bedürfnis im Namen vieler: "Lasst uns in unserem eigenen Tempo gewähren! Das Schlimmste ist, wenn man uns drängt..."

Lebendiger Spielball

Während sie Sätze wie diese mit Ausrufezeichen in den Raum heftet, vollführt ihr Körper ein "Tänzchen" und wirft die zerbrechlich wirkende Gestalt der 73-Jährigen in unkontrollierte Posen. Ein lebendiger Spielball, der zwischen Esszimmertisch und Anrichte nicht zum Stillstand kommen mag. Schuld daran ist das Dopamin in ihrem Blut. Einer der Botenstoffe, damit die Nervenzellen miteinander kommunizieren können und ein "Glückshormon" zur Antriebssteigerung.

Im Falle einer Parkinsonerkrankung sterben die zuständigen Produktionsareale allerdings ab. Dopamin muss von außen zugeführt werden. Das Problem: "Habe ich zu viel in mir, werde ich unruhig; ist der Spiegel zu niedrig, werde ich steif", lautet die Brandl’sche Formel.

Klingt simpel, ist es aber nicht. An einer optimierten Medikamentierung arbeitet schließlich ein ganzer Forschungszweig. Seit Jahrzehnten. Der hat "Parkis" wie Edda Brandl immerhin jede Menge Pillen und eine "Lebensqualität steigernde Apomorphinpumpe" beschert. Unter anderem. "Trotzdem hüpf’ ich heute wieder wie ein Geißbock", löst Edda Brandl die leicht skurril wirkende Szene in einem Scherz auf.

Das ist bezeichnend für die Mutter von vier erwachsenen Töchtern und Oma von neun Enkelkindern: Sie lässt sich nicht unterkriegen, kontert mit Humor.

Anfang mit 49

49 Lenze zählte die gelernte Verkäuferin, die in Karlsruhe aufwuchs, als sie erste Einschränkungen wahrnahm: "Ich habe das Bein beim Laufen nachgezogen, meine Schrift ist kleiner geworden und mitunter hatte ich so ein einseitiges Zittern." Der konsultierte Neurologe war schnell bei der Sache: "Parkinson". Und er warnte erbarmungslos vor falschen Hoffnungen: "Der nächste Schub kommt bestimmt!"

Edda Brandl gab dennoch nicht klein bei. Man hatte bereits die krebsbedingte Oberschenkelamputation des Ehemannes überstanden, man würde auch "diesen kleinen Parkinson" schaffen - dachte sie und holte Auskünfte ein. Edda Brandl wälzte Fachliteratur, wurde Mitglied der Deutschen Parkinson-Vereinigung und besuchte Informationstage in ganz Deutschland. "Dort habe ich zum ersten Mal Leute gesehen, die in einem Stadium waren, wie ich jetzt." Damals war sie jedoch gewiss: "Das wird mir nicht passieren!"

Eigene Regionalgruppe

Im Zuge ihrer Umtriebigkeit kommt Edda Brandl auch in Kontakt mit der Parkinson-Selbsthilfegruppe Nürnberg, die seinerzeit aus den Nähten zu platzen droht. Es gibt Überlegungen, eine Regionalgruppe Roth-Schwabach zu gründen, um die Situation zu entzerren. Nachdem Edda Brandl bereits umfangreiches (Organisations-) Engagement in der katholischen Kirchengemeinde Allersberg an den Tag gelegt hatte, überträgt man ihr nur allzu gern die Leitung des Neu-Zusammenschlusses. Ihr Mann Hans hilft, wo er kann. Man schreibt das Jahr 1997...

Seitdem ist viel passiert. Der Zustand Edda Brandls hat sich erwartungsgemäß verschlechtert. Doch habe sie zwischenzeitlich auch Ärzte ihres Vertrauens gefunden, "von denen man sich verstanden fühlt". Das sei "unglaublich viel wert!".

Aus verschiedenen Blickwinkeln

Mit den Neurologen der Parkinsonklinik Rummelsberg verbindet die Allersbergerin jedoch weit mehr: Gemeinsam werden jährliche Symposien veranstaltet, bei denen man die Krankheit aus verschiedenen Blickwinkeln ins Visier nimmt. Heuer, am 2. Dezember, habe sie zu diesem Zweck den betroffenen Marburger Pastor und Buchautor Jürgen Mette gewinnen können, erzählt Edda Brandl stolz.

Die Rummelsberger Experten seien ihrerseits immer wieder gern gesehene Referenten bei den Treffen der Parkinson-Selbsthilfegruppe Roth-Schwabach, die aktuell mehr als 50 Mitglieder zählt. Menschen, deren Erfahrungswerte den Medizinern aus dem Nürnberger Land wichtig wären, da ist sich Edda Brandl sicher: "Die wollen von den Patienten lernen", lobt die SHG-Leiterin.

"Arbeitet mit unserem Gehirn!"

Darum lässt sie ebenso umstandslos wie hoffnungsvoll einen Appell in Richtung Ärzteschaft los: "Arbeitet nicht nur gegen unsere Symptome, sondern auch mit unserem Gehirn!"

Will heißen: Um sich ihre Autonomie so lange als möglich zu erhalten, müssten Parkinson-Patienten zu mehr Bewegung oder Kreativsein ermuntert werden: "Gedichte lernen, Theaterspielen, Singen, Erzählen." Edda Brandl fädelt da gleich eine Perlenschnur an Beispielen auf. Schließlich wisse sie es ja am besten - und zitiert zum Beweis leichte Lyrik.

Keine Hemmschwellen bauen

Auch lasse sie sich nur ungern davon abhalten, Alltagstätigkeiten autark zu verrichten: "Ich ziehe mir den Pulli am Abend selber aus, soweit möglich - und wenn mir dabei die Tränen kommen." Solche aus Mut gemachten Überzeugungen gibt Edda Brandl gern in der SHG weiter. Credo: "Man darf sich nicht aus Selbstmitleid seine eigenen Hemmschwellen bauen!"

Nach vielen Höhen und Tiefen - Stürze, Brüche, damit verbundene Krankenhausaufenthalte sowie ein Totalzusammenbruch inklusive - hat Edda Brandl ihr Schicksal letztlich akzeptiert: "Hört sich vielleicht komisch an, aber ich bin mit meinem Parkinson zufrieden", schreibt sie nicht selten in so manch’ verdutztes Gesicht. Weil sie etwas begriffen habe: "Wenn’s mir psychisch gut geht, dann ist auch mein Parkinson okay!"

Freund Parkinson

Freilich sei dabei klar, dass ihr "Freund" Parkinson, wie sie die Krankheit nennt, keineswegs aufzuhalten ist. Am Ende werde er mit dem völligen Verlust von Beweglichkeit und Sprache aufwarten. Doch auch das wird nicht ausgeblendet: "Ich kümmere mich lieber vorher schon um ein würdiges Sterben!"

Bis es aber soweit ist, pflegt Edda Brandl den Schulterschluss mit der Erkrankung; duldet das Kommen und Gehen der Schmerzen, der Angst, des Kontrollverlustes "wie Ebbe und Flut".

Man müsse dem Ganzen "halt einen Sinn geben", insistiert sie und stürzt sich in die Vorbereitungen des kleinen SHG-Jubiläums am 11. Oktober im Rother Hans-Roser-Haus. Dort wolle sie neben Ansprache und Rückschau eine wichtige Botschaft an die Anwesenden richten. Und sie werde nicht müde, es zu betonen: "Hier schöpfen wir alle neuen Mut und merken - die Gruppe tut uns gut!"

Die Parkinson-Selbsthilfegruppe Roth-Schwabach trifft sich jeden zweiten Mittwoch des Monats im Hans-Roser-Haus in Roth, Gartenstraße 30; Infos bei Edda und Hans Brandl, Sudentenstraße 15 in Allersberg, Telefon (09176) 7176.

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