LesArt-Auftakt: Giggeln, Geifern, Frotzeln, Fluchen

5.11.2013, 08:33 Uhr
LesArt-Auftakt: Giggeln, Geifern, Frotzeln, Fluchen

Michael Lerchenberg und Jost-H. Hecker hatten einen abgründigen Komiker mitgebracht: Karl Valentin.

Man muss es sich eingestehen – und könnte zu diesem Zweck die Worte von Valentins kongenialer Sozia Liesl Karlstadt bemühen: „Ich möchte gern was über meinen leibeigenen Partner schreiben, aber so einfach ist das nicht...“

Die Frage, die damit über dem markanten Hungerhaken, dem selbst ernannten „Blödsinnkönig“, prangt, ist die: Wer war er eigentlich, dieser Karl Valentin?

Als Schauspieler und Stoiber-Double Michael Lerchenberg mit seinem Cellisten Jost-H. Hecker tumb glotzend an der Rampe verharrt, bricht sich diese Ratlosigkeit bereits leise Bahn. Und klar ist: Das wird kein Abend volkstheatralischer Lausbubenseligkeiten. Es soll ein Annäherungsversuch sein.

LesArt-Auftakt: Giggeln, Geifern, Frotzeln, Fluchen

© Weinig

Denn auch wenn Karl Valentin irgendwann zum Synonym für Münchener Hofbräuhaus-Glück und Gstanzl-Entzücken geraten ist, so werden ihm derlei Labels nur tangential gerecht. Sollen Attribute ihn wirklich treffen, dann diese: ambivalent, zerrissen. Das zupft und streicht Cello-Virtuose Hecker immer wieder gekonnt um Zuhörer-Ohren.

Tiefe „Abgründe“

Die Reise zu den „Abgründen“, die Michael Lerchenberg dem Publikum zeigen will, beginnt indes schon in der Kindheit Karl Valentins. Ein „Quälgeist mit Hang zum Sadismus“, der das „Sanitätskolonnen-Spiel“ nur mit „richtigen Verletzten“ spielen mag, wird da lustvoll vorgeführt, indem Lerchenberg ein juveniles Grinsen zur Schau stellt. Das Mütchen dieses jungen Draufgängers Valentin Ludwig Fey soll jedoch schon bald kühlen: in den winterlichen Fluten der Isar. Dort widerfährt ihm beim „Schwankeisfahren“ eine Art „Nahtoderlebnis“, woran zeitlebens Asthma und Trauma erinnern.

Ob das den Scheideweg hin zu Hypochondrie, Paranoia und Morphinismus markiert, lässt sich nur vermuten. Fakt ist: 1907 gelingt es dem gelernten Schreiner erstmals, die Aufmerksamkeit des Publikums auf seine groteske Körpersprache und Wortzerklaubereien zu ziehen. Dass die Menschen in der „guten alten Zeit“ eines Deutschen Kaiserreichs dabei nicht zimperlich gewesen sein dürften, kolportiert Lerchenberg mit derben Späßen aus Valentins Feder, die etwa die peinliche Not eines „fäkalistischen“ Malheurs aufs Genaueste skizziert.

Nein, er lässt nichts aus. Und gerade deshalb gilt: Ja, Karl Valentin war ein Mann des Volkes. Einer, der Seinesgleichen aufs Maul schaute und dabei Skurrilitäten zutage förderte, die ein Schauspieler wie Michael Lerchenberg in authentischem Idiom genüsslich zelebriert: „Host etz g’hert, wie i nix g’sogt hob? - Na, zug’hert hob i scho, aber g’hert hob i nix“.

Mann und Frau, Frau und Mann. Ein Lebensthema Karl Valentins, der seine Amouren auch „archiviert und durchnummeriert“ haben soll. Neben Ehegattin Gisela Royes wird sie ihm aber bleiben: Elisabeth Wellano alias Liesl Karlstadt.

Geniales (Liebes-)Paar

Mit der ehemaligen Verkäuferin gelingt ihm 1911 der große Durchbruch, weil: „Der schöpferische Infantilismus Valentins wird durch Karlstadts Mütterlichkeit zur Blüte gebracht“, umschreibt’s Lerchenberg poetisch. Und: „Sie saugen Nektar aus der Beobachtung des realen Lebens.“ Die Blütezeit also. Da darf er freilich nicht fehlen: „Der Firmling“. Und jetzt dreht Lerchenberg auf. Er giggelt, geifert, frotzelt, flucht, verschmilzt mit seinen Vorbildern. Er hechtet sich im schwellenden Rausch des dargestellten Vaters übers Tischerl, bis das Mikro gen Boden segelt und krächzt dazu die Verzweiflung des Firmlings in den Raum. Eine gelungen-furiose Hommage an das (Liebes-)Paar Karlstadt/Valentin, das alsbald an sich selbst zerbrechen soll.

Denn, so fährt Lerchenberg fort, dies sei bereits der Anfang vom Ende gewesen: Valentins Launen werden immer unerträglicher, Karlstadts psychischer Zustand immer labiler. Man trennt sich und Karlstadt landet manisch-depressiv in der Nervenheilanstalt; ein versuchtes Comeback scheitert.

So blickt das LesArt-Publikum am Ende auf fast drei Stunden Valentineskes, das – bei allem geglückt servierten Amüsement – einen bitteren Beigeschmack hinterlässt. Und dazu erneut die Frage, wer er eigentlich war, dieser Karl Valentin:

Ein volkstümelnder, völlig apolitischer Geist — trotz seiner Freundschaft mit Bert Brecht? Ein „krankes Hirn“, wie ihn Eugen Roth beschreibt? Dadaist, Anarchist, Expressionist? Oder einer, der nur die Tragik (s)eines Lebens spiegelte? Man wird da, wie Lerchenberg und Hecker, nur mutmaßen können.

Karl Valentin starb am 9. Februar 1948 an einer Lungenentzündung. Es war ein Rosenmontag ...

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