Mit „Wohllaut und Klangzauber“ endete das Henselt-Jahr

10.11.2014, 06:22 Uhr
Mit „Wohllaut und Klangzauber“ endete das Henselt-Jahr

© Foto: Hans von Draminski

Dass sich mit dem Pianisten Daniel Grimwood ausgerechnet ein junger Engländer des Henselt-Erbes mit fachkundigem Fingerspitzengefühl angenommen hat, ist kein historischer Treppenwitz, sondern eher Indiz dafür, dass Georg Martin Adolph von Henselt ein gesamteuropäisches Phänomen darstellt: Ein Deutscher, der mit 24 Jahren nach Russland auswanderte und dort Karriere als Komponist und Klaviervirtuose machte – so erfolgreich, dass er vom Zarenhaus geadelt wurde.

Auf einer Ebene mit Chopin

Wundersam, ja völlig unverständlich erscheint angesichts des zum Jubiläumsjahr „reaktivierten“ Henselt-Oeuvres eigentlich nur, dass ein so phantasievoller, mit einem schier überbordenden melodischen Einfallsreichtum gesegneter Tonsetzer nach seinem Tod 1889 so schnell in Vergessenheit geraten konnte. Denn Henselt ist ganz gewiss kein „Kleinmeister“, seine Musik kann neben den großen Klavier- und Kammermusik-„Leuchttürmen“ des 19. Jahrhunderts von Chopin bis Liszt locker bestehen.

Zumal Henselt jene Epoche des fröhlichen Virtuosentums, der brillanten Zurschaustellung von Fingerfertigkeit auf den weißen und schwarzen Tasten in seinen Stücken beinahe prototypisch reflektiert. Was beim Kammerkonzert im Bürgerhaus noch einmal deutlich wird.

Ist Henselts großes f-Moll-Klavierkonzert, das Daniel Grimwood mit dem Schwabacher Kammerorchester im Sommer kredenzte, ein vergleichsweise knalliges „Schlachtross“ ganz im Sinne jener spektakulären Effektverliebtheit, die fast alle jene Werke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auszeichnete, so spricht aus der Kammermusik dieses „deutschen Russen“ eine andere Ästhetik.

Feinsinnig facettiert kommen etwa die E-Dur-Klaviervariationen (Opus 1) daher, die der junge Henselt auf ein Thema aus Gaetano Donizettis Oper „L'elisir d'amore“ schrieb: ein Kaleidoskop aus sanft schillernden Pastellfarben mit feinen Texturen plus ein paar bewusst gesetzter Rauigkeiten, Ecken und Kanten. Volksliedhaft eingängiger Stoff, den Daniel Grimwood mit kantablem Ton und präziser Phrasierung sehr ansprechend zum Leben erweckt.

Kongeniale Besetzung

Henselt war freilich auch ein begabter Verfasser von Kunstliedern, wie die tschechischstämmige Mezzosopranistin Lucie Špicková mit sattwarmem Timbre und subtil schattiertem Ausdrucksrepertoire zu demonstrieren versteht. Von Grimwood kongenial sekundiert, macht Špicková die große Klammer auf und zeigt Henselt als gewandten Grenzgänger zwischen dem Standard-Idiom der westlichen Kammermusik und der einfallsreichen Auseinandersetzung mit traditionellen russischen Themen – slawisch wirkende Klänge, die zeigen, wie konsequent Henselt die Musik seiner zweiten Heimat verinnerlicht hatte.

Der Hornist Michael Lösch vom Nürnberger Staatstheater rundet das Bild ab: Henselts h-Moll-Duo für Klavier und Horn ist ein ungemein differenzierter, von maximalem Verständnis für die emotionalen Tiefenschichten der Komposition getragener Instrumental-Dialog, dessen Inhalte auch ohne Worte verständlich werden. Hier unterhalten sich zwei Meister ihres jeweiligen Instruments über Dinge, die weit jenseits der musikalischen Ebene zu finden sind.

Zur Abrundung gibt es Stücke von Zeitgenossen Henselts, etwa Alexandr Skrjabins ebenso hinterfragte wie kurze „Romanze“ für Horn und Klavier oder Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Kunstlieder „Primirenje“ und „Nur wer die Sehnsucht kennt“, denen Lucie Špicková ebenso viel Sentiment wie rationale Kontrolle mitgibt.

Ein Werk für Stimme, Klavier und Horn findet sich in Adolph von Henselts Werkkatalog leider nicht. Für die Zugabe wird das Trio aber bei Richard Strauss fündig, dessen frühes Kunstlied „Alphorn“ (Opus 15) ein obligates Hornsolo vorsieht und den Beteiligten viel Raum für das schwelgerische Baden in melodischem Schönklang bietet. Da sind sie dann noch einmal, der Wohllaut und der Klangzauber, die das 19. Jahrhundert im Allgemeinen und Adolph von Henselts Musik im Besonderen entscheidend prägten.

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