„Respekt den Autoren“ — leider nur den Autoren

24.1.2015, 10:55 Uhr
Die Bewertung für den Vortrag eines Poetry-Slamers über die Darmentleerung wurde zu einem Griff ins Klo erklärt.

© Martin Gerten/dpa Die Bewertung für den Vortrag eines Poetry-Slamers über die Darmentleerung wurde zu einem Griff ins Klo erklärt.

Ein Poetry Slam ist ein Literatenwettstreit. Autoren stellen sich auf die Bühne und lesen Texte oder Gedichte vor. Der besondere Reiz: Das Publikum kürt den Sieger. Aber erst im Finale. Wer das erreicht, darüber entscheiden fünf Juroren, die bunt verteilt im Publikum sitzen. Keine Chance, sich abzusprechen oder wenigstens voneinander abzuschauen. Jeder bekommt Kärtchen wie früher die Punktrichter beim Eiskunstlauf und hält sie nach jedem Vortrag bedeutungsschwer und für alle sichtbar in die Höhe.

Dass ich einmal Richter über literarisches Schaffen sein würde, ist für jeden, der mich kennt, bereits eine Pointe, die selbst von humoristisch talentiertesten Autoren kaum zu toppen ist. Aber das konnte der mir völlig unbekannte Moderator ja nicht wissen.

Deshalb gehe ich fest davon aus, dass er sich bei seiner Juroren-Wahl streng danach gerichtet hat, wer einen kompetenten Eindruck mit würdevoller Autorität und einem schon auf den ersten Blick spürbaren Gerechtigkeitssinn verbindet.

Dass er dabei auf mich in der letzten Reihe gekommen ist, hat jedenfalls ganz sicher nichts mit dem Äußeren der neben mir sitzenden Gattin eines amüsierten Kollegen zu tun, die dem Moderator charmant lächelnd hergewinkt und dann feixend auf mich gedeutet hat.

Derlei Beförderungen sind leider nicht völlig frei von Risiken. Dies hätte mir schon im nächsten Moment schwanen können, als der Moderator die kommunikativen Spielregeln des Abends skizzierte. Grundregel: „Respekt den Autoren.“ Sollte heißen: „Keine Buhrufe.“

Kein Wort von „Respekt für Juroren.“ Das hätte mir zu denken geben sollen.

Die ersten Autoren waren noch kein Problem. Dem Herren mit der lustigen Schottenmütze und dem Weihnachtsgedicht, das zu kommentieren der Respekt vor den Autoren verbietet, habe ich von den zehn möglichen Punkten immerhin drei gegeben. Schließlich war es auch seine Poetry-Slam-Premiere. Solch Mut will mit dem neuen Mindestlohn bedacht sein. Die Kollegen Juroren sahen das noch ähnlich.

Auch bei dem jungen hübschen Mädchen mit ihren verhuschten „Fragmenten“, wie sie ihr Gedankenlabyrinth nannte, lag ich mit sieben Punkten im unauffälligen Mainstream.

Es folgten überzeugende Auftritte, deren Ausdruckskraft und Wortgewandtheit mir jeweils acht Punkte abnötigten. Aber Leute zu loben ist ja einfach.

Bei den letzten beiden Poeten wurde es dagegen schwierig. Sehr schwierig. Die sexistische Liebesgeschichte war allenfalls unter dem Gesichtspunkt interessant, wie die detailliert beschriebenen Verrenkungen anatomisch realisierbar sind. Okay, dachte ich, ich will ja niemanden fertigmachen: vier Punkte — und die ersten bösen Blicke und schmählichen Buhrufe von Zuhörern, die offenbar noch jünger und sportlicher sind und sich eher mit den sieben bis neun Zählern der anderen Juroren zu identifizieren wussten.

Als der letzte Autor schließlich meinte, das demokratische Gleichheitsprinzip am Beispiel der identischen Darmentleerung in verschiedenen Religionen und Kulturkreisen erläutern zu müssen und dies in einer plastischen Sprache vortrug, für die einst die Toilettenspülung erfunden worden sein muss, reichte mein Humor nur noch für drei Zähler.

Zu meiner verschärften Verwunderung waren die anderen Kollegen und das Publikum hingegen erneut der Meinung, dass meine Bewertung ein Griff ins Klo war, um im Jargon des Autoren zu sprechen. An die Buhrufe war ich ja schon gewöhnt.

Dass sich aber sogar die Frau meines Kollegen, der ich meine inzwischen ungeahnt unbequeme Rolle ja zu verdanken hatte, demonstrativ von mir weggesetzt hatte, weil sie keinen missverständlichen Eindruck erwecken und lieber auf Distanz und in Deckung gehen wollte, das war denn doch zu viel. Ein klarer Fall für — null Punkte.

Die Bewertung für den Vortrag eines Poetry-Slamers über die Darmentleerung wurde zu einem Griff ins Klo erklärt.

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