Schwabachs Siebener: Geheimnisträger des Grenzsteins

13.8.2018, 05:58 Uhr
Schwabachs Siebener: Geheimnisträger des Grenzsteins

© Fotos: Daniel Hertwig

Durch Büsche und Gestrüpp, über Erdhügel und Mauerreste: Wer Reinhard Fleischmann bei der Arbeit begleiten will, sollte sich nicht all zu viele Gedanken über saubere Schuhe oder Zeckenbisse machen. Denn Fleischmann ist nur selten auf befestigtem Untergrund zugange. Meist führt ihn sein Ehrenamt auf Äcker und Wiesen, auf Baugrundstücke oder in den Wald.

Heute ist der Einsatz allerdings relativ harmlos. Auf einem Neubaugrundstück im Weinberg-Viertel hinter dem Krankenhaus unterstützt der Obmann der Schwabacher Feldgeschworenen mit seinem Kollegen Bruno Müller die Mitarbeiter des staatlichen Vermessungsamts. Während die mit einem Tachymeter messen – also einem elektronischen Gerät, das mittels Lichtstrahl Entfernungen ermittelt –, suchen Fleischmann und Müller nach den alten Grenzsteinen. Dafür müssen sie graben, denn oft sind die vor Jahrzehnten oder teils Jahrhunderten verlegten Markierungen tief unter Erde, Hecken oder aber unter neu errichteten Mauern oder Zäunen verborgen. Manchmal müssen sie bis zu 80 Zentimeter buddeln, erzählt Fleischmann.

Auf der Suche nach dem Stein

Hier geht es nicht ganz so tief, doch am Ende finden die Ehrenamtlichen, denen der Vermessungsoberwart Michael Wolkersdorfer beim Schaufeln hilft, nur zwei der Grenzsteine. Bei zwei anderen wissen sie zwar, wo sie liegen müssten – doch an der einen Stelle befindet sich ein aus Beton gegossener Torpfeiler, der andere taucht auch in der Tiefe nicht auf. Ein Nachbar, der gerade bei der Gartenarbeit ist, wird gefragt, doch auch er hat keinen Grenzstein gesehen. Ob der versehentlich oder absichtlich entfernt wurde, wissen die Feldgeschworenen nicht. Sie werden es im Protokoll festhalten. Die Markierungen eigenmächtig zu versetzen, ist zwar nicht erlaubt – "doch wie sollen wir herausfinden, wer das vor zig Jahren mal gemacht hat?", fragt Fleischmann. "Solche Lumpen gibt’s halt."

Ehrenamt mit Tradition

Auch wenn das Schicksal mancher Grenzsteine ungewiss bleibt, ist es gut, dass die Feldgeschworenen dabei sind, findet der Experte am Tachymeter. Der Ingenieur vom Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung sagt, das Verhältnis zu den Ehrenamtlichen sei sehr gut. "Wir sind heilfroh, dass es sie gibt." Sie kennen Orte und Leute und unterstützen die Arbeit des Amts "mit Muskelkraft". Sie bringen sogar ihr Arbeitsmaterial – heute Grenzsteine aus Granit und Markierungsnägel aus Metall – selbst mit. Dafür bekommen sie von der Kommune eine Aufwandsentschädigung.

Wie in vielen Bereichen ginge auch bei der "Abmarkung" ohne Ehrenamtliche fast nichts. Es handle sich sogar um das "älteste kommunale Ehrenamt in Bayern", heißt es auf der Internetseite des Amts. Die Wurzeln ließen sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Vor Jahrhunderten entstand auch der andere Name, unter dem viele Menschen die Feldgeschworenen kennen: "Siebener". Jede Gemeinde sollte, so war es lange die Regel, sieben solcher Beauftragter haben. Heute müssen es vier bis sieben sein, besagt das bayerische Abmarkungsgesetz. Bei großen Gemeinden auch mehr. Insgesamt hat Bayern über 20 000 "Siebener". Ihre Aufgabe ist es laut Gesetz, bei der Abmarkung von Grundstücken "mitzuwirken". Außerdem sollen sie "auf die Erhaltung der Grenzzeichen hinwirken und ihren Zustand, insbesondere an den Gemeindegrenzen überwachen." 2016 wurde das Feldgeschworenenwesen in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Auf Lebenszeit

Vereidigt werden die Feldgeschworenen vom Ersten Bürgermeister, sie bleiben auf Lebenszeit im Amt. Dabei schwören oder geloben die Ehrenamtlichen laut Gesetz, dass sie sich "zur gewissenhaften und unparteiischen Tätigkeit und zur Verschwiegenheit sowie zur Bewahrung des Siebenergeheimnisses" verpflichten. Besonders wichtig ist dieses Geheimnis, denn nur wer es kennt, weiß, ob die Grenzsteine an der richtigen Stelle liegen. Beim Einsetzen werden nämlich mehrere Zeichen aus Metall, Ton oder Glas um den Grenzstein herum ausgelegt – in welcher Art und Weise genau, das wissen nur die "Siebener", die das jedoch nur Ihresgleichen verraten. Und zwar ausschließlich mündlich. So können die Eingeweihten auch nach vielen Jahren bestimmen, ob sich jemand an dem Grenzstein zu schaffen gemacht hat.

Schwabach hat laut dem gewählten Obmann Reinhard Fleischmann derzeit 13 "Siebener", von denen allerdings nur noch sechs aktiv seien. Einige seien bereits über 80 Jahre alt. Der älteste werde demnächst 90, bis vor fünf Jahren sei er allerdings noch ausgerückt, um Grenzsteine zu suchen oder neue zu legen, erzählt Fleischmann. Für den Obmann wird es indes nicht leichter, die Termine zu besetzen. Etwa 70 bis 80 Einsätze kämen pro Jahr zusammen, davon übernehme er selbst circa ein Drittel, schätzt Fleischmann. Auch sein Metier plagen Nachwuchssorgen. Zwar wurden in Schwabach 2016 zwei neue "Siebener" vereidigt, doch die Altersstruktur bleibt schwierig. Stehen zwei Termine an einem Tag an, werde es kompliziert. Da die Vermessung, die ja Amtssache ist, tagsüber stattfindet, können angestellte Berufstätige dieses Ehrenamt kaum ausfüllen. Über rüstige Rentner, die Interesse haben, Feldgeschworener zu werden, würde sich der Obmann sehr freuen.

Er selbst verdient sein Geld, wie viele seiner bayerischen Kollegen, mit der Landwirtschaft. In Wolkersdorf hat der 56-Jährige einen Hof mit Milchvieh, Schweinen und Getreidefeldern. Der Hof, den seine Familie seit 1746 bewirtschafte, sei der letzte aktive im Ort. Auch solche Traditionen verpflichten. Vor 30 Jahren hat Fleischmann sich von einem Bekannten überzeugen lassen, "Siebener" zu werden. Heute mache er es mit Freude, die Tätigkeit sei abwechslungsreich, man komme mal raus. Und dass die Suche nach einem einzelnen Grenzstein länger als eine Stunde dauert, das sei dann doch selten.

Wer in Schwabach Feldgeschworener werden möchte, muss mindestens 21 Jahre alt sein und seit länger als einem Jahr einen Wohnsitz im Stadtgebiet haben. Interessenten können sich bei Obmann Reinhard Fleischmann melden unter (0911) 635553.

1 Kommentar