„Sie sind wirklich lernwillig und hochmotiviert“

7.4.2016, 08:50 Uhr
„Sie sind wirklich lernwillig und hochmotiviert“

© Foto: Wilhelm

„Ali ist ein Phänomen“, sagt Petra Katheder. Die Berufsschullehrerin koordiniert die derzeit drei, ab April sogar vier Klassen für junge Flüchtlinge zwischen 16 und 21 Jahren.

Erstmals in einer Schule

„In Afghanistan ist er gar nicht beschult worden“, berichtet Katheder. In den ersten Monaten in Deutschland mache er enorme Fortschritte. „Und dann trägt er auch noch eine Brille. Seine Mitschüler nennen ihn nur Professor“, erzählt sie schmunzelnd.

Ali ist einer von 60 meist männlichen Schülern, die zwei „Berufsintegrationsjahre“ (BIJ) absolvieren. Im ersten steht Deutsch im Mittelpunkt. Außerdem stehen Rechnen, Landes- und Lebenskunde, Ethik, Sozialkunde, Sport und Berufsorientierung auf dem Stundenplan.

Im zweiten Jahr wird der Unterricht mit Berufspraktika vernetzt. „Dafür suchen wir noch immer so viele Firmen wie möglich“, betont Peter Birle. Um die Vermittlung bemüht sich die Familien- und Altenhilfe als Kooperationspartner der Berufsschule. Wer die zwei Jahre erfolgreich absolviert, erhält den Mittelschulabschluss.

Nun hatten Birle und die jungen Flüchtlinge Besuch. Weil die Grünen den Antrag gestellt haben, die Verwaltung möge im Stadtrat über die Situation in den BIJ-Klassen berichten, wollten sich Schulreferent Frank Klingenberg und Sozialreferent Knut Engelbrecht einen persönlichen Eindruck verschaffen. Begleitet wurden sie von ihren Mitarbeitern Gerhard Kappler vom Schulamt und Barbara Steinhauser, der Koordinatorin der Stadt für Asylfragen. Peter Birle und Petra Katheder führen ihre Gäste durch alle drei Klassen. Zuerst in die von Frank Oelschlegel, der eigentlich gerade das „Perfekt“ im Deutschen erklärt. Doch für die Vertreter der Stadt unterbricht er den Unterricht.

Erste Deutschkenntnisse

Die Klasse hat sich vorbereitet: Ein Schüler nach dem anderen steht auf, stellt sich kurz vor, nennt Namen, Herkunftsland, seit wann er in Deutschland ist. Leicht fällt das den jungen Leuten noch nicht. Es sind die ersten Gehversuche in der neuen Sprache.

Schnell wird klar: Einfach hat es hier keiner. Weder die Schüler noch die Lehrer. Die jungen Leute kommen aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen, vor allem aus Afghanistan, Syrien, Irak und Äthiopien. Manche sprechen ein bisschen Englisch, doch Unterrichtssprache ist Deutsch. Das gemeinsame Erlernen einer neuen Sprache schweißt auch zusammen. Aber für die Lehrer ist es eine Herausforderung, etwa Mathe auf Deutsch zu erklären, wenn die Deutschkenntnisse noch in den Anfängen stecken.

Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit: „Die jungen Flüchtlinge bringen sehr unterschiedliche Voraussetzungen mit“, berichtet Frank Oelschlegel. „Manche beherrschen Integralrechnungen, andere können nicht multiplizieren.“

„Schwierige Fälle“

Und einige entziehen sich dem Unterricht sogar, fehlen sehr häufig. „Wir haben eine Gruppe von sechs, sieben Schülern, die einfach sehr schwierige Fälle sind“, erklärt Petra Katheder. Dabei handelt es sich um Volljährige, die bereits anerkannt sind, in keiner betreuten Wohngruppe mehr leben und weitgehend auf sich alleine gestellt sind.

„Sie sind bisher nicht in der Lage, sich anzupassen“, sagt Petra Katheder. Null Bock auf Schule? Die Lehrerin ist mit solchen Urteilen sehr vorsichtig. „Da platzen wohl auch Traumata auf. Manche sagen, dass sie es nicht schaffen zu kommen, weil es ihnen psychisch so schlecht geht.“ Im Einzelfall ist es schwierig einzuschätzen, was hilft. Mehr Betreuung? Attestpflicht? Vielleicht sogar ein Bußgeld?

Positive Erfahrungen

An Problemen mangelt es also nicht. Dafür läuft es in vielerlei Hinsicht besser als vielleicht befürchtet. Konflikte mit deutschen Schülern? „Überhaupt nicht“, sagt Peter Birle erleichtert. Und innerhalb der Klassen? „Vereinzelt gibt es Konflikte, aber nicht mehr als auch in anderen Klassen in diesem Alter“, berichtet Petra Katheder. Auch mit den Mädchen, die nur etwa zehn Prozent ausmachen, sei der Umgang ganz normal.

„Und auch wir Lehrerinnen werden akzeptiert“, betont Petra Katheder. „Anfangs war es etwas schwierig, im Unterricht die Schüler zu korrigieren. Das wurde schnell als Ehrverletzung wahrgenommen. Aber das ist geklärt.“

„Ich gehe gerne in die Klassen“

Beeindruckt ist sie von der Haltung der jungen Flüchtlinge: „Sie sind wirklich lernwillig und sehr motiviert. Und auch wahnsinnig höflich und zuvorkommend. Niemand wird ausfallend oder beleidigend. Und dauernd wird mir angeboten, meine Tasche zu tragen. Unseren anderen Schülern fällt das nicht ein“, erzählt Petra Katheder und lacht. „Bei allen Schwierigkeiten: Ich gehe wirklich gerne in die Klassen.“

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