Traditionen beeinflussen Koran-Auslegung

17.10.2016, 20:00 Uhr
Traditionen beeinflussen Koran-Auslegung

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Der Hauptunterschied zwischen Christentum und Islam, das stellte Scharrer klar, sei der strikte, unitarische Monotheismus im Islam einerseits und der Dreifaltigkeitsglaube, der trinitarische Monotheismus, im Christentum andererseits.

Dies habe zu heftigen Polemiken seitens der Moslems geführt – doch diese beruhten großteils auf Missverständnissen, so Scharrer.

Wichtig sei, so der Theologe, die eigenen und die fremden Quellen zu kennen. Vieles, was die Christen gemeinhin an den Moslems störe, sei nicht auf den Koran, sondern auf Traditionen zurückzuführen. Im sunnitischen Islam gelten als Quellen des Rechts („Fiqh“) neben dem Koran die Traditionen („Sunna“), der Konsens der Gelehrten („Idschma“), die Anstrengung zu einem eigenen Urteil („Idschtihad“), ferner die Sprüche des Propheten („Hadithe“) und das Leben des Propheten Mohammed selbst als höchstes Ideal.

Als Beispiel nannte Professor Scharrer die Zwangsheiraten, die laut Koran verboten seien und nur auf Traditionen zurückzuführen seien. Beim Gewaltbegriff indes eröffnete Scharrer eine Flanke für Kritik, denn es gebe im Koran sehr wohl Stellen, die Gewalt gegen Ungläubige befürworten.

Der theologische Blick der Christen auf den Islam habe sich im Lauf des 20. Jahrhunderts positiv gewandelt, erklärte Professor Scharrer unter Hinweis auf das katholische Konzilsdokument „Nostra Aetate“ von 1965, in dem es heißt: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten.“ Weiter mahnt das Dokument dazu, die „Zwistigkeiten beiseite zu lassen“.

Interessant der Vergleich der Rolle der beiden Heiligen Bücher: Der Koran, so Scharrer, nehme im Islam eine noch wichtigere Rolle ein als die Bibel im Christentum. Der Koran sei im Verständnis des frommen Moslems nämlich das direkte geoffenbarte Wort Gottes, wogegen im Christentum kein Zweifel herrschen könne, dass die Bibel zwar von den Taten Gottes berichtet, aber eindeutig von Menschenhand geschrieben wurde.

Wie Professor Scharrer weiter sagte, herrsche in den großen Konfessionen des Christentums mittlerweile Konsens darin, dass die Aussagen der Bibel nicht wörtlich zu nehmen seien, sondern der theologischen Auslegung und Forschung bedürfen.

Dies gehe zurück bis auf Aussagen des Apostels Paulus und – im Fall der evangelischen Kirche – auf Martin Luther, der in der Bibel stets danach gesucht habe, „was Christum treibet“.

Sehr aufschlussreich hier Scharrers Hinweis auf die islamische wissenschaftlich-theologische Forschung, die seit Jahrzehnten stark unter Beschuss der fundamentalistischen Kräfte steht. So schlage dem progressiven Münsteraner Islamtheologen Mouhanad Khorchide mit seiner modernen, den friedliebenden und barmherzigen Charakter des Islams betonenden Auslegung von den deutschen Islamverbänden kategorische Ablehnung und massive Kritik entgegen.

Die heutige christliche Glaubensposition sei vielmehr nach langer Debatte in den sieben altkirchlichen Konzil-ien in Form von Dogmen festgelegt worden: Die Dreifaltigkeit in den Konzilien von Nicäa 325 und Konstantinopel 381, die Lehre von den zwei Naturen Christi (göttliche und menschliche Natur, ungeteilt und unvermischt) dann im vierten Konzil in Chalcedon 451.