Tschauner: Zwischen Lichtgestalt und Bankdrücker

15.7.2017, 06:00 Uhr
Tschauner: Zwischen Lichtgestalt und Bankdrücker

Im Konkurrenzkampf der Torsteher entscheiden oft Nuancen zwischen Lichtgestalt und Bankdrücker. Der aus Schwabach stammende Philipp Tschauner (31) kann ein Lied davon singen. In bislang zwölf Jahren Profikarriere führte für ihn an Raphael Schäfer, Gábor Király oder auch Manuel Neuer kein Weg vorbei. Andererseits kam er als vorübergehende oder langfristige "Nummer eins" beim TSV 1860 München, FC St. Pauli und Hannover 96 auf bislang knapp 200 Zweitligaspiele.

In der neuen Saison schließt sich für Tschauner ein Kreis. Bei seinem Ausbildungsverein 1. FC Nürnberg hatte er im Herbst 2005 erstmals Erstligaluft geschnuppert. Wenn auch nur für 45 Minuten. Jetzt kehrt er mit Hannover 96 ins Rampenlicht zurück. Ob als Stammtorwart, wie in der zurückliegenden Aufstiegssaison, oder als "Nummer zwei" soll sich im Verlauf der Vorbereitung ergeben. Messen muss er sich mit dem Ex-Darmstädter Michael Esser. Beide haben bei Hannover 96 einen Vertrag bis Sommer 2020 unterschrieben.

Hinter Schäfer

Mit 19 schaffte Philipp Tschauner den Sprung in den Profikader des damaligen Erstligisten 1. FC Nürnberg. Und zwar als "zweiter Mann" hinter der Torwart-Ikone Raphael Schäfer. Am 10. Spieltag der Saison 2005/2006 schlug dann die Stunde des gebürtigen Schwabachers, der zwölf Jahre zuvor bei einem Jugend-Turnier seines Heimatvereins TSV Wendelstein von den Nürnbergern entdeckt wurde. Im Frankenstadion war Raphael Schäfer nach der Pause des Heimspiels gegen Arminia Bielefeld mit Rückenbeschwerden in der Kabine geblieben. 1:1 hieß es nach 45 Minuten in einer Partie, die der Club nach der vorausgegangenen 2:6-Pleite in Bremen unbedingt gewinnen musste. Ansonsten drohte die Rote Laterne.

Sieben Minuten vor dem Abpfiff lag sich Fußball-Nürnberg nach dem Tor zur 2:1-Führung in den Armen. Am Ende aber bejubelte der Gast einen 3:2-Erfolg. Tschauner traf an den beiden späten Gegentoren (88., 90.) keine Schuld. Zufrieden mit seinem Bundesliga-Einstand war er verständlicherweise dennoch nicht.

Von Manuel Neuer abgelöst

Der 1. FC Nürnberg reagierte auf die brenzlige Situation wie üblich im Profigeschäft. Er entließ nach einer weiteren Niederlage Trainer Wolfgang Wolf und verpflichtete Hans Meyer. Ein Glücksgriff. Der neue Cheftrainer führte den Club vom Tabellenende bis auf Rang acht und eine Saison später zum Gewinn des DFB-Pokals. Nur für Philipp Tschauner blieb alles beim alten. Routinier Schäfer stand auch bei Hans Meyer hoch im Kurs. Folglich suchte der junge Tschauner sein Glück bei den Münchner Löwen. In seiner ersten Saison (2006/2007) war er Stammtorhüter bei der U23 und stand darüber hinaus fünfmal im Tor der Münchner Zweitligamannschaft.

Tschauners Saisonhöhepunkt aber war ein Einsatz in der U21-Auswahl des DFB im Spiel gegen den damals aktuellen Europameister aus Holland (2:2). Trainer Eilts testete dabei zwei Torhüter. In der ersten Hälfte Tschauner, im zweiten Abschnitt Manuel Neuer.

Neuer oder Tschauner?

Das Fachmagazin Kicker stufte beide zwar als gleichstark ein, doch Neuer erhielt den Vorzug und wurde drei Jahre später U21-Europameister sowie bekanntlich 2014 Weltmeister. Für Tschauner dagegen erwiesen sich die Auftritte in DFB-Auswahlteams (insgesamt zehnmal trug er das Nationaltrikot) als interessante Abwechslung zum Vereinsfußball, der für ihn in München weiter Licht und Schatten barg.

Zu Beginn der Saison 2007/2008 schien es zunächst aufwärts zu gehen. Trainer Marco Kurz gab Tschauner den Vorzug vor Michael Hofmann. Ein Teilabriss des Kreuzbandes im linken Knie warf den Schwabacher aber schnell wieder zurück. Hofmann blieb auch nach Tschauners Genesung die Nummer eins.

Vorübergehendes Comeback

Erst als sich Hofmann im Pokalderby gegen Bayern ebenfalls verletzte, kam es zum Comeback des Schwabachers, der in der Folgesaison bis zum Trainerwechsel im Februar 2009 (Uwe Wolf für Marco Kurz) als Stammtorwart der Zweitliga-Löwen fungierte. Wolf dagegen setzte auf Hofmann. Nach dessen erneuter Verletzung kam wieder Tschauner dran. Bis ihm die 60er-Strategen im Sommer 2009 den ungarischen Nationalkeeper Király vor die Nase setzten.

Ein Traditionsclub muss es sein

Nach "nur" 49 Zweitligaspielen in fünf Jahren München zog es Philipp Tschauner zum nächsten Traditionsverein, den FC St. Pauli. Am Millerntor fühlte sich der Franke rasch heimisch. Sowohl im Verein als auch im Tor des damaligen Erstliga-Absteigers. In vier Spielzeiten brachte es Tschauner trotz einer zwischenzeitlichen Schulterverletzung auf 104 Zweitligaspiele. Selbst in der Torschützenliste tauchte er auf. In der letzten Minute des Heimspiels gegen Paderborn hatte er nach einer Ecke den 2:2-Ausgleich geköpft und damit das legendäre Millerntor zum Beben gebracht.

Als der Vertrag mit den Hamburgern im Sommer 2015 auslief und Hannover 96 anklopfte, musste Tschauner nicht lange überlegen: Weiter in Norddeutschland, erneut ein Traditionsverein und endlich 1. Liga. Zwar stand er eine Saison lang erwartungsgemäß im Schatten von Ron-Robert Zieler, seines Zeichens Fußball-Weltmeister 2014 (wenn auch in Brasilien ohne Einsatz).

Als Zieler jedoch nach dem Abstieg von Hannover zu Leicester City wechselte, rückte Philipp Tschauner zum Stammtorhüter auf. Die Gegner in der 2. Liga hießen unter anderem 1. FC Nürnberg, 1860 München und St. Pauli. Der 31-Jährige begegnete seiner Vergangenheit. Und wartete in den Spielen gegen seine Ex-Vereine mit tadellosen Leistungen auf; beziehungsweise blieb in fünf Auseinandersetzungen ohne Gegentreffer. Beim 1:0-Heimsieg gegen die Löwen bescheinigte ihm auch der "Kicker" eine großartige Leistung. Bei der 0:2-Niederlage in Nürnberg hatte Tschauner verletzungsbedingt (Adduktorenzerrung) gefehlt.

Ausstrahlung und Präsenz

Martin Kind, der mächtige Mann bei Hannover 96, hatte im Vorfeld der Saison 2016/17 den sofortigen Wiederaufstieg als "alternativlos" bezeichnet. Der 1,96 m große und 90 kg schwere Philipp Tschauner hat mit seiner Ausstrahlung und Präsenz sowie seiner wiederholt bewiesenen Stärke im Spiel Eins-gegen-eins erheblichen Anteil an der Rückkehr der 96er ins Oberhaus.

Was im Profifußball allerdings längst kein Garant auf ein weiteres Jahr als "Nummer eins" sein muss. Der Bundesliga-Rückkehrer ist auf Nummer sicher gegangenen und hat mit Michael Esser (29) vom Absteiger SV Darmstadt einen weiteren erstligatauglichen Keeper verpflichtet. Der Ex-Bochumer gilt nach seiner starken Vorjahressaison in Darmstadt als ein Torwart, der gut mit Druck umgehen kann. Aber auch Tschauner, dank einer stabilen 96-Abwehr weit weniger oft gefordert, hat bewiesen, dass auf ihn Verlass ist.

Qual der Wahl

Jetzt hat Trainer André Breitenreiter die Qual der Wahl. Die Eindrücke aus der Vorbereitungszeit werden wohl den Ausschlag geben, wer beim Bundesligastart am 19. August in Mainz das Tor des Aufsteigers aus Hannover hütet.

So oder so. An Druck von oben wird es bei den Profis des norddeutschen Traditionsvereins (1938, 1954 deutscher Meister; 1992 DFB-Pokalsieger) nicht mangeln. Clubchef Martin Kind hat schon einmal anklingen lassen, dass für Hannover 96 der Klassenerhalt in der 1. Liga alternativlos sei.

 

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