TTIP: „Generalangriff auf unsere Demokratie“

24.8.2014, 08:45 Uhr
TTIP: „Generalangriff auf unsere Demokratie“

© Foto: Tschapka

Warum ist dieses Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA so gefährlich? Wir fragten nach bei der Kammersteinerin Andrea Dornisch vom Bündnis „Zivilcourage“ für einen gentechnikfreien Landkreis Roth/Stadt Schwabach.

Frau Dornisch, Sie reisen derzeit von Kommune zu Kommune und warnen die politischen Gremien vor den Gefahren des Freihandelsabkommens. Wie sehr müssen Sie Überzeugungsarbeit leisten?

Andrea Dornisch: Es ist nicht viel Überzeugungsarbeit notwendig. Wer die Fakten kennt, versteht sofort, dass sämtliche zivilgesellschaftlichen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte auf dem Spiel stehen. Würden die Abkommen TTIP, CETA oder TiSA unterzeichnet werden, dann träfen nicht mehr unsere demokratisch gewählten Politiker die zentralen Entscheidungen, sondern Großkonzerne. Die EU-Kommission fährt mit diesen — bisher bekannten — drei Handelsabkommen mehrgleisig, in der Hoffnung „ein Zug kommt schon an“.

Was konkret kritisieren Sie?

Andrea Dornisch: Sowohl TTIP wie auch CETA enthalten einen sogenannten Investorenschutz. Verabschiedet etwa ein Land ein Gesetz, das die Gewinnerwartung eines Konzerns schmälern könnte, dann hätte der Konzern das Recht, den Staat zu verklagen – nicht umgekehrt. Sogar der Entschluss einer Gemeinde oder eines Bürgermeisters könnte zu einer Schadensersatzklage führen. Darüber hinaus soll alles, was bisher in kommunaler Hand ist, privatisiert werden. Gemeinwohl soll ökonomischen Interessen weichen. Die Kommunen werden durch diese neue Generation von Handelsverträgen ihres Rechtes auf kommunale Selbstverwaltung und souveräner Gestaltungshoheit beraubt.

Sollte das Abkommen tatsächlich in Kraft treten, wovor haben Sie als Umwelt- und Verbraucherschützerin am meisten Angst?

Andrea Dornisch: Es ist zu befürchten, dass alle Schutzstandards im Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz unzulässige Handelshemmnisse darstellen, welche die Gewinnerwartung der Konzerne schmälern würden und welche die Konzerne absenken möchten. Ganz oben auf der Wunschliste der Amerikaner steht die Gentechnik. Bis heute haben sie es nicht geschafft, ihre gentechnisch veränderten Nahrungsmittel auf dem europäischen Markt zu etablieren, weil die Verbraucher sie nicht wollen.

Und sie bekommen sie dennoch?

Andrea Dornisch: Es ist zu befürchten, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel undeklariert auf unseren Tellern landen würden. Wir Verbraucher hätten keine Wahlfreiheit mehr. Auch der Anbau am Acker wäre nicht mehr zu verhindern. Auch das Europäische Vorsorgeprinzip REACH, wonach ein Konzern die Unbedenklichkeit von Pestiziden oder Medikamenten nachweisen muss, bevor er sie auf den Markt bringt, würde vermutlich fallen. In den USA hingegen kann ein Konzern alles auf den Markt bringen, ohne den Nachweis der Unbedenklichkeit. Einen möglichen Schaden muss der/die Geschädigte dem Konzern nachweisen.

Sehr umstritten ist auch das „Fracking“. Sehen Sie auch hier eine Gefahr?

Andrea Dornisch: Auch dies ist ein wichtiger Punkt. In den USA hat Fracking vielerorts das Trinkwasser bereits hochgradig vergiftet. Mit den Abkommen wäre es auch bei uns in Deutschland nicht mehr zu verhindern.

Würde ich als Verbraucher überhaupt merken, dass sich etwas geändert hat?

Andrea Dornisch: Als aufmerksame Verbraucherin unmittelbar, auf gesundheitlicher Ebene auf lange Sicht. Um einige Beispiele zu nennen: Die Werbung mit dem Slogan „original regional“ wäre eine Diskriminierung ausländischer Anbieter und somit nicht mehr erlaubt. Verboten wäre vermutlich die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“. In den USA stehen 2,4-D-Mais und 2,4-D-Soja kurz vor der Zulassung. „2,4-D“ ist eine Komponente des hochgiftigen Herbizids Agent Orange. Dieser Giftcocktail könnte dann über die Tierfütterung undeklariert auf unseren Tellern landen. Während in Europa Bisphenol A in Säuglingsflaschen aus gesundheitlichen Gründen verboten ist, ist die Chemikalie in den USA zugelassen. Würde es ein Hersteller wagen, mit Bisphenol-A-Freiheit in seinem Produkt zu werben, hätte er sofort eine Klageandrohung eines amerikanischen Konzerns am Hals. Somit wären im Zuge der „Harmonisierung der Standards“ unsere Säuglinge dieser Chemikalie ungeschützt ausgesetzt.

Welche Auswirkungen hat TTIP auf den kleinen Betrieb in der Region?

Andrea Dornisch: Nachdem die Gebietskörperschaften gezwungen werden sollen, immer mehr Bereiche des öffentlichen Dienstleistungssektors im Wettbewerbsverfahren auszuschreiben, wären regionale Unternehmen einem größeren Wettbewerb ausgesetzt. Eine Bevorzugung des regionalen Handwerksbetriebs wäre nicht erlaubt. In der Folge käme es auch zu einer Minderung der Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen. Besonders der Investitionsschutz würde den Betrieb in der Region und die mittelständische Wirtschaft benachteiligen, denn aufgrund der hohen durchschnittlichen Verfahrenskosten könnten der kleine Handwerksbetrieb oder das mittelständische Unternehmen den vorgesehenen „Investor-Staat-
Streitbeilegungsmechanismus“ in der Praxis nicht nutzen. Die OECD geht von acht Millionen Dollar pro Verfahren aus.

Einer der größten Kritikpunkte ist die Tatsache, dass hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Würde sich am Vertrag wirklich etwas ändern, wenn die Verhandlungen öffentlich geführt werden?

Andrea Dornisch: Bereits 1990 planten die politischen Eliten, klammheimlich und an der Bevölkerung vorbei, das multilaterale MAI-Abkommen. MAI steht für „Multilateral Agreement on Investment“ und sollte für die damals 29 reichsten Länder der OECD gelten. Es ist damals im allerletzten Moment an der aufmerksamen Zivilgesellschaft gescheitert. Deswegen wurde seither hinter den Kulissen und im Geheimen überlegt, wie man auf andere Weise an die erhofften Ziele kommt. Ein zweites Scheitern wollte man nicht riskieren.

Wer profitiert von den Abkommen?

Andrea Dornisch: Diese Abkommen dienen einzig und allein multinationalen Konzernen. Sie entmachten unsere Politiker und stellen einen Generalangriff auf unsere Demokratie und die soziale Marktwirtschaft dar. Würden die Verhandlungen öffentlich geführt werden, hätten sie keinerlei Chance auf eine Ratifizierung.

Haben die Kommunen Einfluss auf die Entscheidung, ob das Abkommen unterzeichnet wird?

Andrea Dornisch: Es ist die einzige Chance, die wir haben. Je größer der Aufschrei der Kommunen, der kommunalen Spitzenverbände und der Zivilgesellschaft, desto größer die Chance, die Abkommen zu verhindern.

Wächst der Widerstand?

Andrea Dornisch: Immer mehr Institutionen lehnen diese ungeheuerlichen Verträge inzwischen ab. Um ein paar Beispiele zu nennen: der Bundesverband mittelständische Wirtschaft BVMW, der Deutsche Kulturrat, der Deutsche Ärztetag, der Deutsche Richterbund, der Bundesverband der Verbraucherzentralen, die Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische Gesamtverband, und es werden immer mehr. Viele Menschen pflegen zu sagen: „Da können wir doch eh nichts machen.“ Ich halte dagegen: „Yes, we can!“ Wenn die Bürger erkennen würden, welche Macht sie haben, hätten wir morgen eine wahrlich demokratischere Republik.

 

 

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