Uli Ziermann: Gratwanderung zum 75. Geburtstag

18.8.2017, 10:43 Uhr
Uli Ziermann: Gratwanderung zum 75. Geburtstag

© Foto: Ziermann

Jung und berg-sportbegeistert, als Gebirgsjäger in Mittenwald stationiert, nahm ich im Sommer 1961 den Jubigrat ins Visier. Herrliche Ausblicke in die Täler, zu den Bergketten des Wettersteins, des Karwendels, zur Mieminger Kette, hinunter nach Garmisch, hinaus zum Starnberger See. Ich war begeistert und hatte diese Tour gut gemeistert. Sie blieb mir immer in Erinnerung.

Im Alter von 75 Jahren wollte ich diese Tour noch einmal machen. Zunächst streikte die Familie: "Denk’ an dein Alter", "Das ist purer Leichtsinn." Ich sah das zwar nicht ganz ein, aber fügte mich. Und dann kam mein 75. Geburtstag. Meine Familie hatte ein tolles Überraschungs-Geschenk: einen Gutschein für einen Bergführer für den Jubigrad.

Bei einer Bergschule in Garmisch holte ich mir meine Kletterausrüstung ab. Meine eigene samt Helm ist älter als zehn Jahre. Die sei veraltet, hieß es, und wurde nicht mehr akzeptiert. Mit der Zugspitzbahn fuhr ich zum Münchner Haus zum Übernachten. Ich war ziemlich aufgeregt, konnte aber auch wegen des Baustellenlärms nicht schlafen. Auf der Zugspitze wird Tag und Nacht an der neuen Seilbahn gearbeitet.

Rechtzeitig Unterschlupf

Am nächsten Morgen um 5.30 Uhr begann mit Bergführer Michi Brackenhofer die Tour. Wie sich herausstellen sollte, hätte ich keinen besseren Führer bekommen können. Ich glaube, er hat in mir seinen Vater gesehen, den er gut und sicher über die vielen Kletter-Passagen bringen muss.

Gegen 14 Uhr hatten wir etwa zwei Drittel der T(ort)our geschafft. Dann zog ein Gewitter auf. Gott sei Dank waren wir in der Nähe der neuen Biwakschachtel "Gratthüttl" auf etwa 2700 Metern. Hier warteten wir ab. Eine halbe Stunde später waren wir in einem heftigen Gewitter. Wenn man vor die Unterkunft ging, standen die Haare zu Berge! Wir waren froh, rechtzeitig Unterschlupf gefunden zu haben. Ein holländischer Bergkamerad kam noch kurz vor dem großen Regen zu uns herein.

Michi traf dann die Entscheidung, hier zu übernachten. Mir war das sehr recht: Ich war — ich gebe es zu — schon ziemlich fertig. Da es in dieser Notunterkunft nichts zu essen und zu trinken gab, fingen wir das Regenwasser mit unseren leeren Flaschen auf und konnten so auch für den nächsten Tag vorsorgen. Magnesium-Tabletten im Regenwasser sorgten für gute Trinkbarkeit. Nach rund zwei Stunden war das Gewitter vorbei, aber der Fels war jetzt glatt, nass und rutschig. Hubschrauber flogen über das Oberreintal zum Grat, um Bergsteiger in Not zu retten. Wir schliefen sehr gut und erholten uns vom ersten Tag.

Von Spitze zu Spitze

Am Morgen gegen 7 Uhr ging es wieder los. Der Fels war trocken, das Wetter klar, wir kamen gut voran. Vor uns lagen noch: die Äußere Höllentalspitze (2720 Meter), die Volkarspitze (2618), die Grieskarscharte (2618), der Hochblassen (2707) und die Alpspitze (2628). Kletterstellen teilweise bis zum Schwierigkeitsgrad 3-. Allerdings jetzt etwas besser an manchen Stellen mit Drahtseilen gesichert. Gegen 12 Uhr waren wir an der Alpspitz-Ferrata angelangt und mussten diese noch absteigen. Im Vergleich zu den vorangegangenen Kletterpartien ein Kinderspiel.

Aber: Hier hatte uns auch der Tourismus wieder. Unwahrscheinlich, welche Menschenmassen diesen Klettersteig gehen. Manchmal sehr grenzwertig, wenn zum Beispiel nur ein Erwachsener mit 15 Kindern zwischen zehn und zwölf Jahren diesen Klettersteig macht.

Um etwa 13.15 Uhr waren wir an der Station der Osterfelder-Alpspitzbahn angekommen. Ich war geschafft, ich war ausgepowert, und ich war bereit zuzugeben, dass das für einen doch relativ gut trainierten 75-jährigen "alten Mann" nicht mehr unbedingt empfehlenswert ist.

Michi, mein "Sicherheitsengel", und ich aber waren glücklich, dass diese Tour uns zusammengebracht hatte und wir zwei Tage mit einmaligen Ausblicken und einem Naturerlebnis pur miteinander erleben durften – dank des Verständnisses meiner Familie.

Keine Kommentare