Warum eine Kölnerin in Franken Dachdeckerin lernt

30.6.2018, 06:00 Uhr
Warum eine Kölnerin in Franken Dachdeckerin lernt

© Daniel Hertwig

Wer Diana Bojanic bei der Arbeit besuchen will, muss einigermaßen schwindelfrei sein. Zwar hat das Haus in der Nürnberger Gartenstadt, auf dem sie mit ihren Kollegen heute seit sieben Uhr früh werkelt, nur zwei Geschosse. Das Gerüst ist mit einem Netz gesichert. Trotzdem schwanken einige der Planken beim Darüberlaufen ein wenig, was Bojanic aber nicht bremst. Sie ist es gewohnt, ist sie doch fast jeden Tag auf einem Dach.

Wenn sie nicht zum Unterricht in die Berufsschule muss. Denn die 38-Jährige ist noch keine Dachdecker-Gesellin, sondern Auszubildende im ersten Lehrjahr. Was nicht heißt, dass die ruhige, eher zurückhaltende Frau mit den langen dunklen Haaren, die sie auch auf der Baustelle offen trägt, noch keine Berufserfahrung hat. Im Gegenteil: Seit dem Hauptschulabschluss hat sie in verschiedenen Bereichen gearbeitet, im Gartenbau etwa oder in einer Wäscherei. Aber auch schon in ihrem heutigen Metier, als Dachdeckerhelferin.

"Ich wollte schon immer aufs Dach", sagt die Wahl-Nürnbergerin, die vor einigen Jahren der Liebe wegen von Köln nach Franken gezogen ist. Die Beziehung scheiterte. Ihr Wunsch, Dachdeckerin zu werden, blieb.

Warum eine Kölnerin in Franken Dachdeckerin lernt

© Foto: privat

Für sie sei von Anfang an immer nur etwas Handwerkliches in Frage gekommen. Da habe sie wohl etwas von ihrem Vater, einem Maler und Lackierer, "abbekommen", meint Bojanic.

Warum erst jetzt? "Ich habe mich nicht getraut"

Während eines Praktikums ging es für sie erstmals aufs Dach, danach war eigentlich schon alles klar. Doch lange Zeit bewarb sie sich nicht um eine Lehre. "Ich glaube, ich habe mich einfach nicht getraut", sagt sie heute. Den Einstieg in ihren Traumberuf habe sie sich viel schwieriger vorgestellt. Am Ausbildungsgehalt, dass mit 650 Euro brutto im ersten und 1050 Euro im dritten Lehrjahr dann doch niedriger ist als ihr vorheriges Einkommen, lag es jedenfalls nicht. Die finanzielle Einschränkung nimmt sie gelassen: "Dann muss ich eben drei Jahre sparsam leben."

Dass sie mit Ende 30 den Schritt in die Ausbildung schließlich doch gewagt hat, freut nicht nur sie selbst. Auch ihr Ausbilder, der mit 29 Jahren deutlich jüngere Dachdeckermeister Daniel Preißinger, ist sehr zufrieden. Diana sei die erste Dachdecker-Azubine im Kornburger Betrieb, in ganz Bayern gebe es bei insgesamt 120 Lehrlingen im ersten Jahr nur zwei oder drei Frauen. Es laufe aber "eigentlich relativ entspannt", erzählt Preißinger, der als Baustellenleiter mit zwölf Handwerkern auf den Dächern unterwegs ist, während Vater Kai und Mutter Renate in Kornburg die Firma managen.

Anfangs hätten sie sich schon ein paar Gedanken gemacht, so der Juniorchef. Beispielsweise darüber, wie man für die einzige Frau im Baustellenteam einen getrennten Umkleideraum schaffen könnte. Das hat sich aber als unnötig herausgestellt. "Ich komme eh in Arbeitskleidung", sagt Bojanic. Umziehen und Duschen, das mache sie sowieso lieber zuhause. Auch sonst sei sie reibungslos integriert worden, bestätigt sie.

Keine blöden Männersprüche

Blöde Sprüche von den Kollegen? Habe sie nie gehört. "Ich werde behandelt, als wenn ich ein Mann wäre", so die 38-Jährige. Sie gehört also dazu. Und lobt die Atmosphäre: Hier gingen auch die Gesellen die Mittagssemmeln holen oder fegten den Schutt zusammen, wenn die Azubine auf dem Dach zu tun hat. Alle Kollegen passten menschlich zusammen, das sei nicht überall so.

Nach Feierabend setze man sich auch mal auf ein Bier zusammen – aber nie während der Arbeit, wie Meister Preißinger betont. Bei ihnen herrsche schon seit mindestens zehn Jahren Alkoholverbot. Auch ein Radler am Nachmittag sei nicht drin, nach einem Tag auf einem sonnenbeschienenen Dach sei das zu riskant. "Da würd’s einen zamhauen."

Nachwuchs-Frust bei den Betrieben

Viele Klischees, die über die Arbeit auf Baustellen kursieren, sind laut Preißinger überholt. Auch bei jungen Leuten stimmen die Vorstellungen häufig aber nicht mit der Realität auf dem Dach überein. Wenn er sieben oder acht Praktikumsanfragen erhalte, kämen überhaupt nur zwei oder drei tatsächlich zum ersten Tag. Die anderen sagten nicht mal ab, das erzeuge bei den Betrieben Zusatzarbeit und Frust, weiß Preißinger, der sich auch beim Landesinnungsverband der Dachdecker zum Thema Ausbildung engagiert. Diejenigen, die dann antreten, hätten sich aber zumindest schon mal Gedanken zum Handwerk gemacht und würden gern Schreiner, Spengler oder eben Dachdecker werden.

Sie deckt nicht nur Dächer

"Da liegt es dann an uns, ihnen ein schönes Praktikum zu machen", so Preißinger zwinkernd. Damit aus erster Neugier echtes Interesse wird.

Dabei sehen die Neulinge auch: Die Dachdeckerei ist vielfältig. Die Handwerker machen vieles selbst, stellen zum Beispiel Fensterbänke aus Metall her, bauen Dachfenster ein und montieren Regenrinnen. "Es ist sehr abwechslungsreich", findet Diana Bojanic. Ob sie sich auch einen Bürojob vorstellen könnte? "Nein, absolut nicht."

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