Wenn Jugendliche ihren Richter eiskalt anlügen

1.9.2014, 09:45 Uhr
Reinhard Hader bemüht sich im Gericht gelegentlich auch um väterliche Strenge.

© Marcel Staudt Reinhard Hader bemüht sich im Gericht gelegentlich auch um väterliche Strenge.

Herr Hader, waren sie ein braver Jugendlicher?

Reinhard Hader: Grundsätzlich war ich das. Aber natürlich habe ich auch mal etwas ausgefressen.

Und das wäre?

Hader: Als 16-Jähriger bin ich einmal mit Kumpels in ein leerstehendes Haus eingestiegen. Dort haben wir die Sachen etwas durch die Gegend geschmissen.

Wurden Sie erwischt?

Hader: Nein. Aber danach war trotzdem Ruhe. Ich hatte einen sehr strengen Vater. Ihm gegenüber war der Respekt so groß, dass ich danach lieber nichts mehr angestellt habe.

Wie kamen Sie auf die Idee, Jugendrichter zu werden?

Hader: Das wollte ich eigentlich gar nicht. In meinen ersten 15 Jahren als Richter habe ich mich um Familienfälle gekümmert. Da ging es um Menschen, Emotionen und besondere Situationen. Aber nach all den Jahren hatte ich genug davon, mich die ganze Zeit mit Scheidungen und Sorgerechtstreitigkeiten zu beschäftigen. Viele Fälle habe ich mit nach Hause genommen und mir über sie Gedanken gemacht. Ich glaube, die Familiensachen sind der belastendste Teil der Rechtsprechung. Dann wurde die Stelle des Jugendrichters frei und ich bin gewechselt.

Da geht es auch nicht immer ganz locker zu.

Hader: Das stimmt, aber da ist der Abstand irgendwie größer. Da nehme ich die Fälle nicht mit nach Hause. Als Familienrichter bin ich übrigens immer noch tätig. Die Verfahren machen ein Viertel meiner Tätigkeit aus. Egal, ob es um Familien oder die Jugend geht: Hier kann den Menschen geholfen werden. Das ist für mich der Reiz und deswegen behandle ich diese beiden Gebiete sehr gerne.

Wie reagieren Sie denn, wenn ein 16-Jähriger vor Ihnen sitzt, weil er mit Kumpels in ein leerstehendes Haus eingestiegen ist und dort die Sachen etwas durch die Gegend geschmissen hat?

Hader: Ich versuche dem Jugendlichen ins Gewissen zu reden und ihm einen Stups in die richtige Richtung zu geben.

Wie ein strenger Vater?

Hader: Genau. Bei vielen Jugendlichen fällt mir auf, dass ihnen in der Erziehung vielleicht etwas Konsequenz und Strenge gefehlt hat.

Sie sprechen die Jugendlichen sehr direkt an. Bezeichnen Sie als Kunden und den Wochenendarrest nennen Sie Schnupperpraktikum.

Hader: Ich versuche, nicht die Sprache der Jugend zu sprechen. Man wird nicht erleben, dass ich reinkomme und sage: Alter, was hast du denn gemacht. Ich halte aber nichts davon, mich hinter juristischen Begriffen zu verstecken. Ich muss eine Sprache sprechen, die die Jugendlichen verstehen.

Und das funktioniert?

Hader: Ich denke schon. Von zehn Jugendlichen sehe ich neun nur einmal vor Gericht. Natürlich muss ich dafür ab und zu mein Pokerface aufsetzen.

Wie ist es umgekehrt? Merken Sie, wenn der Angeklagte schauspielert?

Hader: Wenn jemand sagt, ihm tue etwas Leid, erkenne ich relativ gut, ob er es wirklich ernst meint. Bei Lügen, ob der Jugendliche jetzt bei der Tat wirklich mit dabei war oder nicht, tue ich mich aber immer noch schwer. Und später, wenn die Wahrheit rauskommt, wundere ich mich, wie er mir eiskalt ins Gesicht lügen konnte.

Gehört das zu den Enttäuschungen in ihrem Beruf?

Hader: Auf jeden Fall. Wenn ich glaube, dass der Junge seinen Fehler wirklich begriffen hat, er aber ein paar Monate später schon wieder vor mir sitzt, ist das ebenfalls enttäuschend. Da mache ich mir dann selber Gedanken, ob ich wirklich richtig gehandelt habe.

Haben Sie einen konkreten Fall im Kopf?

Hader: Zu mir kam einmal ein 14-Jähriger wegen Körperverletzung. Er hatte schon eine längere Vorgeschichte. Normalerweise hätte ich ihn für ein Dreivierteljahr ins Jugendgefängnis stecken müssen. Aber ich dachte mir: Der Junge ist zum ersten Mal vor Gericht, im Gefängnis sitzen lauter 18-Jährige. Das kannst du nicht machen. Danach hat er eine kriminelle Karriere gestartet, mit Alkohol, Drogen und allem was dazu gehört. Das hätte ich vielleicht verhindern können, wenn ich mich damals anders entschieden hätte.

Gibt es auch positive Überraschungen?

Hader: Natürlich. Wenn plötzlich die Nachricht kommt, dass die Bewährungszeit eines Jugendlichen abgelaufen und er straffrei geblieben ist. Das ist ein tolles Gefühl. So etwas gehört zu den Lichtblicken in meinem Beruf. Und davon gibt es deutlich mehr als Enttäuschungen.

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