Zwischen Holzpflug und Handy

26.2.2012, 12:15 Uhr
Zwischen Holzpflug und Handy

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Am Mittwoch, 7. März, stellt die Schule mit einem Informationsabend im Festsaal ab 20 Uhr ihr Äthiopienprojekt vor.

Traumhafte Landschaften, freundliche Menschen, bittere Armut: Widersprüchliche Eindrücke aus einer anderen Welt. „Einmal waren wir auf dem größten Markt der Stadt. Am Rande saß eine sehr arme Frau mit ihrem Neugeborenen. Ihren apathischen Blick werde ich nie vergessen“, erzählt der Zwölftklässler Tobias Rieger.

Ein anderes Beispiel für das Nebeneinander von Mittelalter und Moderne: Handys sind auch in Äthiopien selbstverständlich. Gleichzeitig werden viele Äcker noch mit Holzpflügen bearbeitet.

Neun Schülerinnen und Schüler sowie zwei Lehrer und ein Schülervater der Freien Waldorfschule Wendelstein waren für 14 Tage nach Äthiopien geflogen. Der Kontakt entstand durch die Äthiopierin Mitslal Matschie. Sie ist Gründerin der Organisation Ecopia, die die Bauern vor Ort bei der — in Äthiopien noch ungewöhnlichen — Konservierung ihrer Produkte unterstützt.

Die Reise ging über die Hauptstadt Addis Abeba in den Süden des Landes: ins Hochland nach Chencha. Dort wohnen 10000 Menschen, die hauptsächlich als Landwirte leben und arbeiten. „Die zweitägige Fahrt im Jeep war das eigentliche Abenteuer“, berichtet Lisa Schulz aus der 10. Klasse. „Die Straßen sind die Lebensadern des Landes. Man sieht Tiere, Menschen, Fahrzeuge aller Art und leider auch viele verletzte oder tote Tiere. Und die Panne unseres Jeeps kam auch noch dazu.“

Keine Angst vor Überfällen

Äthiopien war erst jüngst wegen einer Entführung von Touristen in den Schlagzeilen. „Angst vor Überfällen hatten wir aber nicht. Die Konfliktregion ist der Norden. Davon spürt man im Süden so gut wie gar nichts“, erklärt Tobias Rieger. „In solche Regionen würden wir mit den Schülern auch sicher nicht fahren“, betont Lehrer und Projektleiter Wolfgang Debus. Trotz der schwierigen Anreise kamen die Wendelsteiner heil in Chencha an und wurden neugierig begrüßt. Der Hinweis im Vorfeld, dass die Äthiopier vermutlich „auf Tuchfühlung“ gehen würden, um die weiße Haut der Besucher zu erforschen, erwies sich als hilfreiche Vorbereitung. „Man musste halt dann deutlich sagen, wenn es zu viel wurde“, sagt Lisa Schulz.

Die Verständigung erfolgte meist auf Englisch und mit Händen und Füßen. Einzelne Worte lernten die Deutschen aber auch auf Amharisch, der Amtssprache Äthiopiens.

Noch fehlen 20000 Euro

Eigentlich war geplant, auf einem neuen Haus Solarzellen zu installieren. Doch noch reichen die Spendengelder nicht aus, um die Module zu kaufen. Es fehlen noch rund 20000 Euro. Und das Haus für die Anlage stand bei der Ankunft auch noch nicht. Die Gruppe wusste also im Vorfeld nicht, was denn tatsächlich auf sie zukommen würde, hatte aber schon mal vorsorglich viel Werkzeug mitgebracht.

„Alles sehr spontan“

„Vor Ort hat sich dann sehr ,äthiopisch‘ geklärt, was wir tun konnten“, berichtet Wolfgang Debus. „Wir halfen beim Bau des Hauses, in dem später die Konservierung und Herstellung der Güter erfolgen soll. Außerdem haben wir sanitäre Einrichtungen errichtet. Mit ,äthiopisch‘ meine ich, dass für deutsche Verhältnisse alles sehr spontan geregelt wurde.“

Die Spontaneität erklärt Debus sich so: „Durch das tropische Klima ist in Äthiopien das ganze Jahr Erntezeit. Eine Vorratshaltung wie sie in Europa nötig ist, kannte man lange nicht. So ist Planen und Vorausdenken kulturell nicht verankert und noch ungewohnt.“

Auch Mitslal Matschie kennt als Gründerin von Ecopia und durch ihren jahrelangen Aufenthalt in Deutschland die kulturellen Unterschiede. „Der Gruppe hat sie gesagt: Ich wünsche mir die äthiopische Kultur und das deutsche Know-How“, erzählt Debus.

Da sie sowohl Amharisch und Englisch als auch sehr gut Deutsch spricht, ist sie Vermittlerin der Kulturen. Durch ihre große Erfahrung ist sie der Meinung, dass die eigentliche Hilfe der Projektgruppe im Management bestehe. Denn Geld alleine sei nicht sehr sinnvoll. Und arbeiten und kochen können die Äthiopier natürlich selbst. Das verteidigen sie — bei aller Neugierde an der Technik und der Deutschen mit deren Werkzeug — auch ganz vehement: „Sie haben uns sogar ausgelacht, als sie gesehen haben, wie wir unsere Zwiebeln schneiden“, sagt Lisa.

Die Reise hat bei der Gruppe bleibende Eindrücke hinterlassen. „Besonders erschreckend war für mich zu sehen, wie brutal die Kinder teilweise behandelt wurden. Einmal hing eine Horde kleiner Kinder an unserem Jeep, als wir losfahren wollten. Ein Einheimischer hat sie mit einem Schlagstock geschlagen, damit sie verschwinden“, erinnert sich Lisa Schulz.

Tobias Rieger erzählt dagegen von einer sehr schönen Situation: „Ich konnte bei meiner Arbeit beobachten, wie ein paar Mädchen aus unserer Gruppe anfingen, mit äthiopischen Kindern ,Alle meine Entchen‘ zu singen. Die Kinder haben begeistert versucht mitzusingen. Es war eine tolle Stimmung.“

Die Wendelsteiner legten gemeinsam mit den Äthiopiern Hand beim Bau des Hauses an. So waren alle gleichberechtigt. Ganz fertig wurde das Gebäude in den zwei Wochen aber nicht. Die Zeit war zu knapp.

Luxus: Dusche mit Ökoheizung

Was aber fertig wurde, sind einfache Toiletten und die Dusche. Aus deutscher Sicht sind solche sanitären Anlagen selbstverständlich. In Chencha sind sie ein großer Fortschritt. Denn Chencha ist weder an die Kanalisation noch an ein Stromnetz angeschlossen. Besonderer Luxus ist, dass man sogar mit warmem Wasser duschen kann. Denn der Wasserschlauch läuft von den Kanistern durch den Kompost, wo sich das Wasser ganz natürlich erwärmt, in die Dusche. „Also ein sehr umweltfreundliches System“, urteilen die Schüler.

Ebenso waren das Anlegen eines Gewächshauses sowie der Bau eines Ständers zum Früchtetrocknen Aufgaben der Wendelsteiner. Die Gruppe ist besonders stolz auf die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit. So wurden Materialien aus der Region verwendet und einheimische Bäume gepflanzt.

Ob sie nochmal hinfahren würde? „Ja klar“, antworten Lisa und Tobias. Die nächste Schülerreise soll im Herbst folgen.

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