Stromtrassen-Gegner drohen mit "zweitem Wackersdorf"

15.2.2014, 10:46 Uhr
Stromtrassen-Gegner drohen mit

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Hans-Jürgen Wehner blickt zornig über sein Grundstück in der Oberpfalz – kilometerweit unzerstörte Natur mit Feldern und Wäldern. Der 56-Jährige aus Berg (Landkreis Neumarkt) ist wütend auf die Bundes- und Landesregierung wegen der Pläne, eine Stromtrasse von Sachsen-Anhalt nach Augsburg zu führen: „Der geplante Korridor für die 75 Meter hohen Strommasten verläuft direkt an unserem Grundstück entlang. Aus Naturschutz und vor allem gesundheitlichen Gründen ist das unerträglich.“

Vor einem Jahr hat der gelernte Fernmeldehandwerker das veraltete Elternhaus abgerissen, um ein energiesparsames, ökologisches Haus zu bauen. Eine Solaranlage auf dem Dach, ein Holzheizherd in der Küche sorgen für Strom und Wärme. „Wir sind energieautark, brauchen nur noch etwa acht Raummeter Holz pro Jahr“, sagt Ehefrau Renate stolz.

Dieses Idyll sieht das Ehepaar Wehner nun in Gefahr durch die geplante Stromtrasse, die direkt vor ihrem Haus entlanggeführt werden soll. „Hätten wir das gewusst, hätten wir niemals hier gebaut. Dann wären wir weggezogen“, schimpft die 56-Jährige. Sie fürchtet auch konkret um ihre Gesundheit. „Seit einiger Zeit habe ich einen Herzschrittmacher. Daher verzichten wir in der Küche sogar auf eine Mikrowelle. Und jetzt sollen die riesigen Stromleitungen direkt vor unserem Grundstück herführen. Das ist doch Wahnsinn.“

Die Pläne für die 450 Kilometer lange Gleichstrompassage Süd-Ost des Netzbetreibers Amprion haben die Betroffenen regelrecht elektrisiert. Dutzende Bürgerinitiativen (BI) in Franken und der Oberpfalz schossen wie Pilze aus dem Boden. Informationsveranstaltungen des Betreibers sowie Auftritte des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und seiner Energieministerin Ilse Aigner (beide CSU) werden mit minutenlangen Pfeifkonzerten torpediert.

Vor allem im Landkreis Neumarkt ist der Unmut groß. Der Landkreis habe seine Hausaufgaben gemacht und liefere bereits 60 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien, sagt der Bürgermeister von Berching, Ludwig Eisenreich (CSU). Nun seien auch andere Bezirke wie Nieder- und Oberbayern sowie Schwaben gefordert. „Es kann nicht sein, dass nur Nordbayern die Belastung tragen soll.“

Auch in Unterfranken ist die Lage aufgeheizt. In der Rhön lockt das Unesco-Biosphärenreservat im Dreiländereck von Bayern, Hessen und Thüringen als „Land der offenen Fernen“ Wanderer und Naturliebhaber. Nun fürchtet die Region, dass die hohen Masten der Stromautobahn „SuedLink“ in einem Teil des Naturparks künftig die Aussicht vermiesen und Touristen abschrecken. „Wir haben uns mit viel Engagement dafür eingesetzt, das Biosphärenreservat zu vergrößern“, sagt Thomas Bold, CSU-Landrat von Bad Kissingen. Die Pläne für die Trassenführung seien „ein Schlag ins Gesicht“.

Noch beschränke sich der lautstarke Protest auf die Politik. Aber Landrat Bold betont, dass sich das ändern werde, falls die Pläne konkreter werden. „Es gibt ein klares Meinungsbild: Die Menschen im Landkreis wollen diese Trasse nicht.“ Dass die Oberpfälzer mit langem Atem Widerstand leisten können, haben sie vor fast 30 Jahren gezeigt: Monatelang hatten 1986 mehr als 100.000 Teilnehmer gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf demonstriert – mit Erfolg. Seitdem steht die Gemeinde wie kaum eine andere in Deutschland für den erbitterten Widerstand der Bevölkerung. „Wenn es sein muss, gibt es ein zweites Wackersdorf“, betont Wehner.

Nach der von Seehofer geforderten Planungspause für neue Leitungen nach Bayern hatte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) eine Überprüfung der Netzausbaupläne bis zum Sommer angekündigt. Der bayerischen Staatsregierung sind rechtlich jedoch die Hände gebunden, da die Bundesländer die Planungshoheit für länderübergreifende Leitungen an den Bund abgegeben haben.

Die betroffenen Menschen in Nordbayern trauen den Ankündigungen nicht. Sie fordern, wenn überhaupt, eine unterirdische Trasse. „Es kann doch nicht sein, dass ein innovatives Land wie Deutschland nur zu einer veralteten überirdischen Leitungstechnik in der Lage ist“, sagt Wehner. Er befürchtet auch dramatische Beeinträchtigungen für die kommenden Generationen. „Viele junge Familien sind zu uns aufs Land gezogen, um mit ihren Kindern die Natur zu genießen. Das wäre auf jeden Fall vorbei.“

Auch seine Tochter hat vor einigen Monaten in der Nachbarschaft ein altes Bauernhaus gekauft und saniert es mit ihrem Lebensgefährten. „Ihr Lebenstraum ist zerplatzt, die ganze Lebensplanung infrage gestellt. Sie haben keine Lust mehr zum Weiterbauen“, erläutert Wehner. Das angekündigte Moratorium von Seehofer hält der 56-Jährige nur für eine Verzögerungstaktik vor der anstehenden Kommunalwahl. Bei der Wahl werde es die Quittung geben, ist er überzeugt.

Lesen Sie hierzu auch den Kommentar für die Stromtrasse: Energiewende ja, Trassen nein? Geht nicht! sowie den Kommentar gegen die Stromtrassen: Gegen den Strom. Stimmen Sie zudem in unserem Online-Voting ab:

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