Trachtenkult hält auf fränkischen Kirchweihen Einzug

18.9.2014, 13:54 Uhr
Trachten sind nach wie vor die bevorzugte Kleidung auf dem Oktoberfest.

© dpa Trachten sind nach wie vor die bevorzugte Kleidung auf dem Oktoberfest.

Die Tracht hat einen gewaltigen Imagewandel hinter sich. Wer sich vor 15 oder 20 Jahren mit Dirndl und Lederhose zeigte, galt als rückständig und hinterwäldlerisch. Junge Leute empfanden damals den Auftritt eines Trachtenträgers als absolut peinlich.

Heute hingegen schaut man Besucher des Oktoberfests schief an, wenn sie sich nicht dem Seppl-Mode-Diktat unterwerfen: In manchen Bierzelten werden die letzten Gäste in Jeans und Poloshirt gemustert wie Zivilisten, die sich in eine Militärparade eingeschlichen haben.

Ja, der Trachtenfasching treibt seltsame Blüten. Da ist zunächst gar nicht der FC Bayern gemeint, der seine Spieler immer wieder in lustigen Wiesn-Trikots aufmarschieren lässt: der Spanier Martinez im Trachtenjanker mit Hirschhornknöpfen, daneben Boateng in der Lederhose. Doch das Dresscode-Phänomen ist breiter gestreut.

Eine in München erscheinende Zeitung nannte die Wiesn im vergangenen Jahr „die größte Kostüm-Party der Welt“. Der Bedarf an Wiesn-Outfits sei so gigantisch, „dass die Verwandlung der Innenstadt in eine einzige Trachten-Outlet-Zone unmittelbar bevorsteht“. Einigen Bar- und Clubbesitzern ging der Trachtenwahn so gegen den Strich, dass sie (oft angetrunkenen) Trägern von Dirndl und Lederhose den Zutritt verwehrten. „Wir wollen nicht einen Laden haben, in dem 120 Gäste dasselbe anhaben, einen Laden, der aussieht wie das 77. Bierzelt“, sagte ein Disco-Betreiber.

Doch der Trend ist ungebrochen. Seit Jahren gibt es auf dem Markt für Dirndl und Lederhosen kein Halten mehr. Mit einem neuen Traditionsbewusstseins haben Mieder und Haferlschuhe allerdings kaum etwas zu tun. Immer häufiger sind es Jugendliche und Touristen, die zum alpenländischen Gewand greifen, in München viele „Zuagroaste“. Für sie ist der Seppl-Look eine gefällige Partymode.

Lieber ein Dirndl von der Stange

Ein historisches Dirndl wird aber oft nicht als schick empfunden — und hat seinen Preis. Gerade junge Menschen legen sich darum kein stilechtes Outfit zu, sondern das billigere, maschinell gefertigte Dirndl von der Stange – noch dazu in Knallbunt, aus dem Kaufhaus oder vom Dirndl- und Lederhosenverleih aus dem Internet. Preislich ist alles drin — von der Wiesn-Uniform für 99 Euro bis zum Gesamtpaket, das locker das Zehnfache kostet.

Was gerne vergessen wird: Bei Trachten handelt es sich um Mode, die historisch gewachsen ist. Mit zeitgenössischen Vorlieben lässt sich das nicht ohne Weiteres vereinbaren. Jedes Detail, etwa das Material der Hemdknöpfe oder das Hosenleder, hat seine Bedeutung. In Franken etwa unterschieden sich Trachten häufig schon von einem Dorf zum nächsten, sagt Jochen Pfeuffer, Vorstandsmitglied des Fränkischen Bundes.

Anders die Einheitstracht des Oktoberfests. Auf der Wiesn treibt es der Dirndl-Fetischismus buchstäblich bunt. Dass sich Gäste im Bierzelt fragen, ob sie in eine volkstümliche Jodelparade von Florian Silbereisen geraten sind, ist aber eher die Ausnahme.

Machen wir uns nichts vor: Der Trachtenfasching hat längst den Norden des Freistaats erfasst. Gemeint sind nicht Politiker wie Markus Söder und Joachim Herrmann, die sich als Trittbrettfahrer der Landhausmode zeigen müssen. Einen gewissen Fremdschämfaktor hat es vielmehr, wenn die Burschen und Madla auf fränkischen Kirchweihen in Dirndl und Lederhosen den Betzn austanzen.

Es gibt sie aber noch, die Trachtenverweigerer. Beispielsweise den Erlanger Oberbürgermeister Florian Janik, der heuer seine erste Bergkirchweih in Hemd und Jeans eröffnete. In einem Interview sagte er, es solle „jeder tragen, was er will — mich sieht da oben keiner in Lederhosen!“ Unten in der Menge standen derweil die Massen in Tracht für Freibier an.

Gut in Erinnerung ist noch das Jahr 2008, als sich die Ehefrau des damaligen Ministerpräsidenten, Marga Beckstein, als Landesmutter beim Oktoberfest-Anstich partout nicht an die Wiesn-Kleiderordnung halten wollte. Vor allem in München schlugen die Wogen der Empörung über den Fauxpas hoch, für die Boulevardpresse war „Dirndl-Gate“ ein gefundenes Fressen. Manche Kritiker sahen gar einen Angriff auf die bayerische Leitkultur.

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