Verdi-Streiks versetzten Nürnberg in Ausnahmezustand

11.4.2018, 19:10 Uhr
Die Verdi-Streiks haben am Mittwoch ihren Höhepunkt in Mittelfranken erreicht. Acht Demonstrationszüge mit insgesamt 9000 Teilnehmern zogen durch Nürnberg und sorgten teilweise für erhebliche Verzögerungen.

© Horst Linke Die Verdi-Streiks haben am Mittwoch ihren Höhepunkt in Mittelfranken erreicht. Acht Demonstrationszüge mit insgesamt 9000 Teilnehmern zogen durch Nürnberg und sorgten teilweise für erhebliche Verzögerungen.

Ratlose Gesichter vor dem Einwohneramt. Eine Handvoll Menschen hat sich davor versammelt, liest die Plakate an der Scheibe. In großen Lettern steht da "Warnstreik". Viele zücken ihr Handy, um Fotos von der Situation zu machen. Ein Ehepaar – sie mit Kopftuch – versteht nicht, wieso die Türen verschlossen sind. Es spricht kaum Deutsch. Er hält ein Schreiben in der Hand, das bescheinigt: Termin am 11. April um 10.55 Uhr im Einwohneramt. Es geht um ihren Aufenthalt. Sie klingeln, doch im Gebäudeinneren tut sich nichts. Dort, wo vormittags sonst Hochbetrieb herrscht.

Passanten, die ebenfalls umsonst gekommen sind, erklären dem verwirrten Paar, dass es morgen wiederkommen soll. Doch am Donnerstag wird das Amt ebenfalls bestreikt, wie kurzfristig unter anderem auf der Webseite mitgeteilt wird. Kaum jemand vor dem Einwohneramt äußert Verständnis für den Streik, von dem hier niemand gewusst hat. Eine 46-Jährige, die eigentlich ihren Pass verlängern wollte und selbst in der Pflege arbeitet, sagt: "Die Mitarbeiter im Amt haben es doch noch gut. Es gibt Menschen, denen geht es viel schlechter."

"Ich finde das nicht gut" 

Vor der Kfz-Zulassungsstelle am Rathenauplatz zeigt sich ein ähnliches Bild. Ein Mann mit Kennzeichen unter dem Arm rüttelt an der verschlossenen Tür. Leise flucht er in sich hinein. Der Händler ist aus Erlangen und braucht dringend eine Zulassung für das Auto eines Kunden. Den Grund, wieso das Amt zu hat, kann er nicht nachvollziehen. "Ich finde das nicht gut." Hier sei immer so viel los, da könnte man doch nicht einfach schließen. Schon gar nicht als öffentliche Einrichtung. Ihm bleibt nun nichts anderes übrig, als sich wieder auf den Weg zurück zu machen.

Von weitem kann er schon die Trillerpfeifen, die Trommeln und Rufe der Streikenden vernehmen, die gerade in der ganzen Stadt unterwegs sind. Darunter sind unter anderem Beschäftigte aus Kliniken, der Stadtverwaltung, der N-Ergie, des Abfallwirtschaftsbetriebs, der Lebenshilfe und der Kindertageseinrichtungen. Auch Telekom-Mitarbeiter sind vertreten, deren Arbeitgeber gerade ebenfalls verhandelt. Aus ganz Nordbayern sind die Beschäftigten angereist: aus Würzburg, Schweinfurt und Ingolstadt etwa. Acht Demonstrationszüge sind an verschiedenen Punkten der Stadt zwischen 8.30 und 10 Uhr gestartet. Manche Autofahrer werden ausgebremst, genauso wie Fahrgäste der öffentlichen Verkehrsmittel. So muss die Buslinie 36, die durch die Innenstadt führt, für etwa eine halbe Stunde umgeleitet werden. Sonst aber war es einigermaßen ruhig, erklärt die VAG am Ende des Tages.

Mehr Demonstranten als in München

Nina Kißkalt ist unter den Demonstranten. Sie ist Auszubildende am Klinikum und sie weiß: "Wir haben Personalmangel, aber Azubis müssen Jahr für Jahr auf unbefristete Verträge hoffen. Wie kann das sein?" Ohne ihre Hilfe und die der jungen Kollegen würde das Krankenhaus zusammenbrechen, ist sie sich sicher. "Unsere Forderung ist gerecht, bezahlbar und längst überfällig!"

Am Prinzregentenufer zum Beispiel treffen Demonstrationszug sechs und sieben aufeinander. Verdi-Mitarbeiter koordinieren aufgeregt, um die Masse zu organisieren. Gegen 10 Uhr ist hier kein Durchkommen mehr. Und das nicht nur wegen der zig Reisebusse, mit denen die Streikenden angereist sind, und die hier parken. Weiter geht es zum Kornmarkt, wo um 11 Uhr eine Kundgebung stattfindet.

9000 Teilnehmer kommen hier zusammen. Das sind mehr als erwartet. Und, was Jürgen Göppner, Geschäftsführer von Verdi-Mittelfranken, besonders freut: Das sind mehr als bei der Kundgebung am Tag zuvor in München, wo rund 8000 Menschen aus Südbayern demonstrierten.

Sie fordern mehr Geld: eine Entgeltsteigerung von sechs Prozent, mindestens 200 pro Monat. Azubis sollen 100 Euro mehr bekommen. Mauern statt verhandeln, so scheine die Devise des Arbeitgebers, erklärt Göppner. "Aber Mauern können zum Einsturz gebracht werden." Die Laune im Publikum ist gut. Manche Streikende haben sich einen kleinen Kasten Bier zur Seite gestellt, der nun in fröhlicher Runde geleert wird. Nur die Trillerpfeifen liegen vielleicht zu laut in den Ohren. Mancher hat mit Ohrstöpseln vorgesorgt.

Hier finden Sie den Live-Ticker zum Nachlesen: 

12 Kommentare