Das „steinerne Archiv“ Pappenheims

8.9.2017, 14:31 Uhr
Das „steinerne Archiv“ Pappenheims

© Jürgen Leykamm

Sie heißt Nathanja Hüttenmeister und ist Mitarbeiterin des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts an der Universität Duisburg-Essen. Dessen Direktor, Professor Dr. Michael Bro­cke, hatte bereits die Pläne bei einem Vortrag im März erläutert (wir berichteten). „Solche Friedhöfe wie dieser sind für uns besonders interessant“, betont die Expertin, als sie das Areal in Augenschein nimmt. Denn die Grabsteine hier hätten eine „Jahrhunderte währende, ungestörte Entwick­lung“ hinter sich, wie Hüttenmeister erklärt.

Die Geschichte des Friedhofs (dessen ursprünglicher Standort nicht eindeutig belegt ist) reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück, „wahrscheinlich aber noch viel weiter“, schätzt Prusakow. Schon ab dem 11. Jahrhundert hätten sich jüdische Familien im Altmühltal angesiedelt. Es gab verwandtschaftliche Verbindungen bis nach Frankfurt und Prag, den bedeutenden Zentren des Judentums in Europa im 17. Jahrhundert, wie Hüttenmeister erinnert.

Ein Bild des Zeitgeistes

Von der Dokumentation des Friedhofs erhoffen sich sowohl der Verein wie auch die Stadt so einiges. Ein solcher Friedhof sei ein „steinernes Archiv“, so Hüttenmeister. Es liefere Einblicke in die jüdische Gemeinde und deren Organisation zu verschiedenen Epochen. Die hebräischen Inschriften gäben nicht nur den Herkunftsort des Begrabenen preis, sondern auch dessen Beruf und vieles mehr. Zudem spiegle sich in den zu lesenden Lobreden über den Verstorbenen die Einstellung der religiösen Gemeinschaft sowie der Zeitgeist wi­der.

So verraten die Zeilen zum Beispiel, ob ein Vater „für seine Gelehrsamkeit bewundert wurde oder dafür, ob er die Familie mit eigener Hände Arbeit ernähren konnte“, weist die Wissenschaftlerin auf mögliche Unterschiede hin. Solche Feinheiten erschließen sich bei späteren Grabsteinen auch dem, der kein hebräisch lesen kann. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ging man nämlich mehr und mehr dazu über, die Inschriften auf Deutsch zu verfassen.

An den Grabsteinen lassen sich auch gewisse Modeerscheinungen ablesen. Polierte Hartsteine, Rundbögen, Obelisken: Die Unterschiede zu kommunalen oder christlichen Friedhöfen nähmen dadurch zusehends ab – vom Symbol des Kreuzes einmal abgesehen. Bedauerlich sei, dass der Friedhof nicht mehr vollständig erhalten sei, sagte Hüttenmeister. Das sieht auch Hans Navratil so. Der ehrenamtliche Stadtarchivar und Ehrenbürger der Stadt erinnerte daran, dass 1938 der einen guten halben Hektar große Friedhof fast vollends zerstört wurde.

Die Erweiterung der Bürgermeister-Rukwid-Straße, die zuvor schon den alten vom neuen Teil des Friedhofs getrennt hatte, führte zu weiteren Beschädigungen. 1940 errichtete man auf dem Gelände des oberen Teils drei Behelfsgebäude, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder abgerissen wurden. In den 1950er-Jahren brachte man vorhandene Grabsteinreste, die im unteren Bereich lagerten, wieder zum oberen zurück und setzte sie wieder ein. Auf die ursprüngliche Anordnung nahm man dabei keine Rücksicht. Nach jüdischer Theologie „kommt dies einer Entweihung gleich“, erläuterte Navratil.

Auch dies wird sich in der Dokumentation wiederfinden. Ihre Bedeutung sowie die des Friedhofs überhaupt geht weit über die Stadtgrenzen hinaus. Denn jüdischen Gemeinden vergangener Zeiten war der Grund­erwerb verwehrt. Den Platz, der ihnen wie in Pappenheim unter dem Schutz der Reichserbmarschälle zugestanden wurde, galt es deshalb gut zu nutzen. So entstand auch hier wie andernorts ein großer Verbandsfriedhof. Weswegen in der Altmühlstadt auch Tote aus Treuchtlingen, Gundelsheim und Markt Berolzheim, aber auch aus Ellingen, Neuburg an der Donau und sogar Regensburg bestattet wurden.

Anliegen des Projekts sei es deswegen auch, „die einstigen jüdischen Bestattungswege wieder aufzuzeigen“, so Prusakow. Aufgrund der regionalen Bedeutung hofft der Verein auf breite Unterstützung. Bürgermeister Uwe Sinn, Innenminister Joachim Herrmann, Bundestagsabgeordneter Artur Auernhammer, Landtagsabgeordneter Manuel Westphal und Bezirksrat Alexander Küßwetter zeigten sich Prusakow zufolge angetan von dem Projekt. Eine Förderung über das Leader-Projekt der EU ist bereits in die Wege geleitet.

Hüttenmeister geht davon aus, dass die Dokumentation, die auch online stehen wird, für die Nachkommen und die Forschung von größtem Interesse sein wird. Gerade solche frühen jüdischen Friedhöfe wie jener in Pappenheim hätten eine wichtige Funktion: „Sie schließen die Lücke zum Mittelalter.“

Schüler säubern die Steine

Bei der Dokumentation allein soll es nicht bleiben. So wird im Vorfeld vom Treuchtlinger Grundschulrektor Herbert Brumm ein Schülerprojekt angestoßen, in dessen Rahmen Dritt- und Viertklässler sich hier informieren, aber auch die Grabsteine säubern, damit sie gut im Bild festgehalten werden können. Auch Realschüler und Gymnasiasten sollen mit ins Boot genommen werden. Unter anderem ist die Installation von Hörstationen geplant.

Das alles hat bereits erste Wellen im Internet geschlagen. Alan Piersonn, Ur-Ur-Ur-Enkel der hier begrabenen Schmuel und Henrietta Bronner, war bereits zu Besuch in Pappenheim – leider konnte der Grabstein seiner Vorfahren dabei nicht ausfindig gemacht werden. Wenn die Dokumentation fertig gestellt ist, wird ein solches Auffinden ein Leichtes sein.

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