Abschied vom Weißenburger Gymnasiumdirektor

27.7.2017, 12:00 Uhr
Abschied vom Weißenburger Gymnasiumdirektor

© Jan Stephan

„Sie wissen ja, wie das ist. Bei Begräbnissen und Verabschiedungen . . .“, sagte ein gerührter Theisinger, als er nach einer langen Reihe von Lobesreden selbst ans Mikrofon trat. Der scheidende Direktor spielte mit seinem halben Zitat darauf an, dass es mit dem Wahrheitsgehalt bei diesen Anlässen nicht immer ganz genau genommen wird. So viel Lob auf einmal war Theisinger etwas unangenehm, zumal er selbst keiner sei, dem das Lob allzu leicht über die Lippen komme, wie er einräumte. „Nicht, weil es nichts zu loben gebe, sondern weil man nicht weiß, wo man anfangen soll, ohne die zu verletzen, die nicht genannt werden.“

„Zwölf liberale Jahre“

Diese Problem umschiffte er bei seiner Verabschiedung elegant, indem er einfach alle lobte, die ihn in zwölf Jahren als Direktor unterstützt haben. Von der Putzfrau über den Hausmeister bis hin zu seinen Mit­arbeitern im Direktorat. „So gute Verhältnisse wie hier findet man selten.“ Ja, das Werner-von-Siemens-Gymnasium sei in gewisser Weise ein Paradies und er als Schulleiter habe es leicht gehabt, denn er habe nur die vielen Initiativen von Lehrern, Eltern und Schülern unterstützen müssen, um die Schule voranzubringen.

Bei aller üblichen Lobhudelei zogen sich einige Charakterbeschreibungen Theisingers derart stringent durch die Reden, dass sie grundlegend erscheinen. Theisinger war ein Schulleiter, der sich nicht viel auf seinen Status als Chef einbildete, einer, der ein Klima der Freiheit und Offenheit vorlebte, einer, der menschlich blieb. Darin wa­ren sich alle Redner einig.

„Wir haben zwölf liberale Jahre erlebt. Das war Teil Ihrer Führungskultur“, stellte der Personalratsvorsitzende Jan Cumme in einer glänzenden Rede fest. „Ich will das nicht zum Paradies auf Erden verklären – auch wir hatten unsere Kontroversen – aber es war eine Zeit, in der wir unsere Flügel spreizen konnten, ohne gerupft zu werden.“

Cumme sprach vom „Prinzip des Gewährenlassens“, das Theisinger gelebt habe. „Wer etwas machen wollte, konnte das tun, wer es nicht wollte, musste sich nicht rechtfertigen.“ Leise klang die Kritik an, dass man sich mitunter sogar ein wenig mehr Einmischung gewünscht hätte. Aber ein Schulleiter könne es eben – genauso wenig wie ein Lehrer – allen recht machen, stellte Cumme fest.

Der Personalratsvorsitzende verglich Theisinger mit dem US-Präsidenten Abraham Lincoln, der vielleicht kein Menschenfänger war, sich aber auch an der Macht „eine fast jungenhafte Einfachheit“ bewahrt habe. „Der erfreuliche Unterschied zwischen Ihnen und Lincoln ist das Ende der Amtszeit: Sie wurden im­merhin nicht aus dem Amt geschossen.“

Eine weitere Konstante in den Reden war das Lob von Theisingers menschlichen Fähigkeiten. „Sie haben mit ihrer Menschlichkeit die Schule geprägt. Das Werner-von-Siemens-Gymnasium ist eine Schule, in die man seine Kinder gerne schickt“, lobte Elternbeiratsvorsitzender Robert Renner. „Der Mensch soll den Menschen bilden, indem er ihn als Menschen behandelt“, zitierte Renner Émile Zola. Und genau das habe zu Theisingers Grundverständis von Schule gehört. Für die Belange der Eltern habe der Schulleiter stets ein offenes Ohr gehabt – auch wenn man sich mitunter nicht immer einig gewesen sei.

Schülersprecher Tobias Wuttke stellte fest, dass es Theisinger immer um die Schüler gegangen sei. Gerade als SMV habe man in ihm einen Ansprechpartner gehabt, der stets bereit war, Initiativen der Schüler zu unterstützen. Auch wenn das mal auf Kos­ten der Unterrichtszeit ging. Wuttke erinnerte sich an eine Pausenbesprechung über eine Valentinsaktion, die Theisinger spontan in einer Aufklärung über den anstehenden Kirgistan-Austausch verwandelte. „Wir kamen dann ordentlich zu spät in den Unterricht, aber wussten alles über die Flora und Fauna von Kirgistan“, so Wuttke lachend.

Kein Polterer

Theisingers Liebe zur Biologie und Botanik, gepaart mit seiner Freude an Exkursionen, war die dritte Konstan­te, die sich durch die Reden zog. Mi­nisterialbeauftragter Martin Rohde referierte anhand der Personalakte Theisingers, dass der sich schon immer auch außerschulisch engagiert habe. Und zwar vor allem im Bereich der Biologie. Im Umweltbeirat der Stadt Nürnberg, aber auch in der Naturhis­torischen Gesellschaft. „Die Anzahl dessen, was Herr Theisinger gemacht hat, ist wirklich Legion“, stellte Rohde fest.

Die Freude am gesprochenen Wort zeichnete Theisinger zudem aus. „Der polternde Auftritt war Ihre Sache nicht, Sie wussten sich anders durchzusetzen, zur Not redeten Sie Ihr Ge­genüber einfach nieder“, stellte Renner fest. Und Cumme zog eine weitere Parallele zur amerikanischen Politik, denn Theisingers Monologe hätten mitunter an die amerikanische Tradition des Filibusterns gemahnt – die Kunst, den politischen Gegner durch Endlosreden zu ermüden.

Der stellvertretende Landrat Robert Westphal bedankte sich bei Theisinger für sein Wirken. Man habe stets gemerkt, dass das Amt als Direktor für Theisinger nicht nur ein x-beliebiger Job sei, sondern Berufung.

Oberbürgermeister Jürgen Schröppel gab ihm den dringenden Rat, den Ruhestand langsam anzugehen. Er legte ihm das Vorbild des amerikanischen Generals Eisenhower nahe. Der habe auf die Frage, was er im Ruhestand mache, geantwortet: „Ich werde erst einmal einen Schaukelstuhl auf die Veranda stellen. Darin werde ich sechs Monate lang ruhig sitzen. Und dann werde ich ganz langsam anfangen zu schaukeln.“ „Sie müssen sich ja nicht sechs Monate Zeit lassen, aber fangen Sie um Gottes Willen nicht gleich mit dem Schaukeln an“, riet Schröppel.

Warme Worte gab es zur Verabschiedung auch für Theisingers Frau, die sich als eine Art First Lady des Gymnasiums bei offiziellen Anlässen stets präsent gezeigt habe und mit Lob überschwänglich umging. Die Musiklehrerin Irmengard Reichardt dankte Theisingers Gattin dafür und entschuldigte sich gleich noch bei Theisinger selbst. Dem hatte sie nämlich mal vorgeworfen, dass er – im Gegensatz zu seiner Frau – keine Ahnung von Musik habe.

Der scheidende Direktor nahm es mit einem leisen Lächeln und mit dem wird er nun auch in den Ruhestand ziehen, in dem er sicher einige Dinge vermissen wird, auf andere aber auch gut verzichten kann. Etwa auf Väter, die sich für eine Beschwerde ansagen, um dann dem Direktor zu erklären, dass sie vom eigenen Sohn gemobbt werden und er bitte etwas dagegen tun solle. Derlei Anfragen hat er nun für immer hinter sich.

Übrigens vermutlich auch den Behördenabend der Weißenburger Kirchweih, der Dieter Theisinger mal eine Nacht in Treuchtlingen bescherte. Nach dem Genuss der beiden städtischen Freimaßen schlief er im Zug ein und wachte nicht in Nürnberg, sondern in Treuchtlingen auf. Eine von vielen Erinnerungen, die ein Schulleiterleben mit sich bringt. Nun wird Theisinger neue sammeln müssen. Als Familienmensch, Gärtner, Botaniker und Pensionist.

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