Apotheker sammeln Unterschriften

23.1.2017, 15:32 Uhr
Apotheker sammeln Unterschriften

© Markus Steiner

Die Weißenburger Apothekerin, die zugleich Sprecherin der Apotheker im Landkreis ist, erklärt, warum sie bei der Aktion „Gesundheitssytem in Gefahr“ mitmacht: „Wir wollen ein Zeichen setzen und erreichen, dass die Politik das Urteil wieder zu Fall bringt.“ Die Chancen sind nach Meinung der Weißenburger Pharmazeutin gar nicht schlecht. Die meisten Kunden hätten Verständnis für die Bedenken der Apotheker, die sich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Vergleich zu den Versand-apotheken aus dem EU-Ausland benachteiligt fühlen.

Denn diese müssen sich nicht an deutsches Recht halten, wenn sie ihre rezeptpflichtigen Medikamente nach Deutschland schicken und können die staatlich festgelegte Preisbindung für Medikamente umgehen. Binkert zufolge wäre es deshalb wichtig, dass der Versandhandel auf nicht verschreibungspflichtige Medikamente begrenzt wird.

Ganz anders als die deutschen Apotheker sehen das allerdings die Krankenkassen. Der GKV-Spitzenverband, der alle gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland vertritt, hat naturgemäß eine andere Meinung, wie Pressesprecher Florian Lanz auf Anfrage unserer Zeitung erklärt: „Die Apothekenlobby verteidigt die verkrusteten Strukturen und tut so, als wäre es heute noch die Regel und nicht die Ausnahme, dass Arzneimittel vor Ort in der Apotheke hergestellt werden.“

„Kein neumodischer Kram“

Tatsächlich sei die Herstellung von Arzneimitteln längst ein internationales Geschäft von Pharmakonzernen: „Online-Bestellungen und Versandhandel sind längst kein unsicherer neumodischer Kram mehr, sondern selbstverständlicher Teil unseres Wirtschaftslebens.“

„Warum sollten Patienten in Deutschland also nicht davon profitieren, wenn Apotheken ein Arzneimittel günstiger anbieten können?“, fragt  sich der GKV-Sprecher. Statt Schutzzäune um alte Strukturen zu flicken, sollten die Apothekenvertreter deshalb überlegen, wie die Versorgung ihrer Kunden so verbessert werden kann, dass diese etwas davon haben.

Der bayerische Apothekerverband übt dagegen Kritik an der „Fehlentwicklung“. Europäische Institutionen sollten nicht in das deutsche Gesundheitswesen eingreifen, deren Ausgestaltung eigentlich Bundestag und Bundesregierung vorbehalten ist. „Das EuGH-Urteil bringt die Präsenzapotheken in Deutschland in eine wettbewerbsmäßige Schieflage. Der Gesetzgeber in Deutschland hat diese Schieflage nicht verursacht, aber er hat es in der Hand, sie zu beseitigen“, heißt es auf der Internetseite des Apothekerverbandes.

Warum die Apotheker das EuGH-Urteil als bittere Pille empfinden? Derzeit kosten rezeptpflichtige Arzneimittel in Deutschland überall gleich viel. Dem Kunden kann es also egal sein, wo er seine Medikamente holt, die Krankenkasse zahlt die Medikamente ohnehin. Der Apotheker muss dank Preisbindung deshalb keine Angst haben, dass ihm ein Konkurrent durch billigere Angebote die Patienten abwirbt.

Auch die Gewinnmargen, die die Apotheker bekommen, sind gesetzlich reglementiert. Bisher lebten die rund 20000 deutschen Apotheker deshalb recht gut: Die Umsätze haben sich seit 1995 nach Branchenangaben mehr als verdoppelt. Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs fürchten sie jetzt, dass ihnen ausländische Versandhändler einen Teil ihres Geschäfts madig machen.

Die Apotheker selbst behaupten, dass sie nicht nur ihren eigenen Gewinn, sondern vor allem das Wohl ihrer Kunden im Auge haben, wie auch Binkert betont: „Eine Seniorin auf dem Land ohne Computer darf doch nicht schlechter gestellt sein, als der gut verdiendende Single in der Großstadt, der sich seine Medikamente billig im Internet bestellen kann.“ Durch das Urteil komme langfristig das gesamte Gesundheitssys-tem, das auf dem Solidarprinzip fußt, ins Ungleichgewicht.

„Rosinenpickerei“

Zum Beispiel, wenn ein zulassungsbefreiter Patient bei einem ausländischen Versandhändler ein Rezept einreicht, keine Zuzahlung leisten muss und dann auch noch einen Bonus erhält. Binkert empört die geänderte Gesetzeslage: „Damit würden zuzahlungsfreie Patienten nicht nur komplett auf Kosten der Solidargemein-schaft versorgt, sondern können durch Einlösen eines Kassenrezepts sogar noch Geld damit verdienen.“

Was Binkert und ihre Kollegen vor allem stört: „Wir machen hier vor Ort den Not- und Nachtdienst, mixen individuelle Rezepturen und beraten Schwangere, Senioren und Kranke, während sich die Versandapotheken die Rosinen herauspicken.“ Wenn das Urteil nicht revidiert wird, ist aus ihrer Sicht das Gesundheitssystem in Deutschland ernsthaft in Gefahr.

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