Der März im April

24.7.2017, 09:21 Uhr

Über Namen zu witzeln, ist eigentlich ein No-Go, aber da ich schon als Pubertierender im Telefonbuch lustige Namen gesucht und dann mit Freunden Leute wie Hugo Mauszahn oder Herta Hühnerfuß angerufen habe, um sofort aufzu­legen – wahrscheinlich wollten wir uns bloß überzeugen, ob die tatsächlich existierten –, habe ich zu Namen ein besonderes Verhältnis. Vielleicht sind sie ja wie ein Kleidungsstück, in das sein Träger langsam hineinwächst?

Unlängst ist mir ein Lebensmittelhändler namens Verderber aufgefallen. Wenn man in Wien zum Funkhaus will, muss man an der U-Bahn-Haltestelle Taubstummengasse aussteigen. Ein langjähriger Radiointendant hieß Übelhör. Es gibt den Orthopäden Dr. Spreizfuß, den Gynäkologen Dr. Spalt und den Chirurgen Dr. Fleischhacker. Eine Kandidatin der österreichischen Volkspartei heißt Großbauer, während die Sozialdemokratie eine Elisabeth Hakel in ihren Reihen hat – bei Hakeln denkt man bei uns nicht an das Kräftemessen mit Fingern, sondern an Arbeit. Hat man erst einmal damit begonnen, in Namen die Vorherbestimmung ihrer Träger hineinzuinterpretieren, gibt es kein Halten mehr.

Also war in Weißenburg einer meiner ersten Wege der zum Friedhof, wo in Grabsteinen die Namen vergangener Zeiten stehen. In Zukunft wird es womöglich auch hier Flatscreens mit Youtube-Videos geben. Zuerst ist mir der seltene Vorname Perpetua aufgefallen. Rudolf März ist an einem 1. April gestorben, während das Grab von Rudolf Rummel ruhig und schlicht gehalten ist. Im Grab der Familie Vierke liegen vier Tote, Familie Schreiner hat einen hölzernen Christophorus.

Beim Namen Wawzeszyk fällt mir auf, dass auf den Grabsteinen fast nur deutsche Namen stehen: Würth, Westphal, Prager, Lechner, Lentz. Ein Hans Meier teilt sein Grab mit einer Rosa Müller. Ein paar Schritte weiter: Hier ruht in Gott – Karl Schmoll. Kaum Fotos oder in den Marmor eingeätzte Bilder, was mir erst klar wird, als ich welche sehe. In einem der coolsten Gräber liegt Benny – auf einer Kombination aus Glas und Marmor sind ein Blitz und ein tränendes Auge zu erkennen.

Hier liegen sie, denen einmal alle Hoffnung galt, welche, die in Weißenburg geboren oder sich nur auf der Durchreise befanden. Studienräte, Juristen, Ärzte, Metzger. Auf den älteren Grabsteinen an den Mauern stehen ganze Lebensläufe: Ernst Herber der Rechte Beflissener starb in der Bluthenalter (also blutjung) von 22 Jahr. Älter wurden eine Consalenten-Witwe oder die Stadtkämmersgattin Amalie Beck.

Menschen mit bunten Gießkannen streichen herum, und ich will mir lieber nicht vorstellen, wie sich die Blumengießerei auf die Särge auswirkt. Ich liebe Friedhöfe, weil sie viel mehr bieten als in Stein gehauene Namen: Schicksale und Geschichten, die die großen Dramen des Lebens erahnen lassen – mit, aber auch ohne aller Witzelei. Manchen war der Name wie ein Mühlstein um den Hals, anderen aber war er Schmuck.

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