Der Weißenburger Lebkuchenmann ist auf den Weg gebracht!

17.11.2018, 06:00 Uhr
Der Weißenburger Lebkuchenmann ist auf den Weg gebracht!

© Jan Stephan

Zum elften Mal lesen die sechs Weißenburger nun ihren Dialog über die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs in der kleinen Stadt. Inzwischen wird synchron mit den Stühlen gewippt, ein Schauspieler hat aus einer Betonung einen Running Gag gemacht und der ängstlichste Ratsherr springt bei jeder Sorge von seinem Sitz auf. Schmiedleitner sitzt wieder, wippt wieder, sei­ne Mundwinkeln sind glücklich. Er hat gerade ein paar Ideen zum Funktionieren gebracht.

Diese Szene ist die Zielgerade eines eigenwilligen Abends im Weißenburger Wildbadsaal. Er beginnt mit einer Überraschung: Knapp 100 Menschen sind gekommen, um Teil des Lebkuchenmanns zu werden. Der Haus­meister muss weitere Stühle in den Saal stellen. Ein erster Erfolg für dieses ehrgeizige Projekt. Der Abend beginnt klassisch. Ein paar einführende Worte, Erklärungen, Vorstellungen. Schmiedleitner steht schweigend daneben, hält sich mühsam zurück. Nach knappen zehn Minuten bekommt er das Wort und so recht gibt er es die nächsten vier Stunden nicht mehr her.

Dieser Einführungsabend eskaliert im positiven Sinne. Aus dem gedachten Info-Abend wird von Minute zu Minute mehr ein echte Probe. Schmiedleitners Intensität erfüllt den gesamten Saal und lässt kaum einen kalt. Es sind Kinder gekommen, Jugendliche, junge Erwachsene, alte Erwachsene, Senioren, Männer, Frauen. Von der Bäckereifachverkäuferin über den Stadtrat bis zur Ärztin reicht das Portfolio an Gesichtern. Vom erfahrenen Amateurtheatermann bis hin zum blutigen Laien. Man kann dabei zusehen, wie der Lebkuchenmann Dynamik bekommt.

„Wir brauchen ein Bewusstsein, dass wir hier etwas Tolles für die Stadt machen. Dass wir das alle zusammen machen, als Kollegen. Dass das alles irgendwie auch Kunst ist“, erklärt Schmiedleitner zu Beginn. „Sowas hat es in Weißenburg in der Form vielleicht überhaupt noch nie gegeben. Dass man sich abarbeitet an der Stadt, an ihrer Geschichte“, fährt er fort. „Das müsst ihr spüren. Diese Sache fängt heute an!“ Die Leute hören Schmiedleitner zu und man hat den Eindruck, dass sie beginnen, ihm zu glauben.

Aus den inhaltlichen Einführungen werden gemeinschaftliche Lockerungsübungen, aus den Lockerungsübungen deklamierte Chor-Passagen, aus den Chören einzelne Szenen. Stück für Stück steigt die Intensität. Und manch einer verlässt nach vier Stunden den Wildbadsaal und ist fester Bestandteil dieses Projekts, ohne dass er überhaupt wüsste, was er dabei in Zukunft eigentlich zu tun hat. Die Rollen werden erst im Januar vergeben. Aber sicher wird Schmiedleitner mit den Eindrücken arbeiten, die er an diesem Abend in Weißenburg gesammelt hat.

Immer wieder hält er kurze Zwiesprache mit Rebekka Gruber, seiner Regieassistenz, flüstert ihr Namen zu. Seine Assistentin notiert, fotografiert, holt weitere Informationen ein. Schmiedleitner sammelt an diesem Abend Gesichter. Und man hat den Eindruck, dass er mit ihnen schon in seinem Kopf jongliert. Überlegt, welches Teil in diesem Ensemble-Puzzle wo hingehört. Derweil sitzen die Schauspieler zusammen, beklatschen die gelungenen Proben der Kollegen, plaudern, diskutieren, lachen.

Am Ende dieses Abends steht ein Eindruck: Der Lebkuchenmann hat begonnen. Es entwickelt sich etwas. Was das ist, kann im Moment noch niemand sicher sagen, aber möglicherweise ist es etwas Großes.

Noch besteht die Möglichkeit, beim Lebkuchenmann mitzuspielen. Infos unter ww.bergwaldtheater.de. Vor allem junge Männer.

Zum Thema

„Der Lebkuchenmann“ ist ein Stück aus der Feder des mehrfach preisgekrönten österreichischen Autors Franzobel. Er lebte 2017 als Stadtschreiber 100 Tage in Weißenburg und sammelte Material für ein Stück, das direkt in die Kulisse des Bergwaldtheaters geschrieben werden sollte. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist „Der Lebkuchenmann“. Die Stadt Weißenburg hat entschieden, dass dieses Stück zum 90-jährigen Bergwaldtheater-Jubiläum im kommenden Jahr zehnmal aufgeführt wird.  Die Aufführung soll wesentlich mit Laien aus der Region gestemmt werden. Für die Umsetzung konnte der renommierte Regisseur Georg Schmiedleitner gewonnen werden, der unter anderem bereits am Staatstheater Nürnberg, dem Schauspielhaus Hamburg oder dem Wiener Volkstheater gearbeitet hat. Zudem soll noch mindestens ein prominenter Schauspieler hinzustoßen. Das Stück spielt in einer Art magischen Weißenburger Stadtwald, in dem sich verschiedene Zeiten und Figuren der Weißenburger Stadtgeschichte begegnen. Erzählt werden soll die Geschichte in einer opulenten und modernen Inszenierung mit spektakulären Bildern. Der Vorverkauf für den „Leb­kuchenmann“ startet am 3. Dezember mit dem allgemeinen Vorverkaufsbeginn für das Bergwaldtheater.

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