"Die Frohbotschaft muss brennen"

6.2.2018, 06:00 Uhr

© Markus Steiner

Herr Pfarrer Stübinger, die Austrittszahlen in der evangelischen und der katholischen Kirche sind im vergangenen Jahr wieder leicht gesunken. Dennoch treten immer noch weit mehr Menschen aus der Kirche aus als vor knapp zehn Jahren. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Dr. Thomas Stübinger: Wenn ich eine klare Diagnose in dieser Frage hätte, wäre schon viel gewonnen. Ich denke, es sind mehrere Komponenten: Früher hatten die Menschen wie selbstverständlich Kontakt zu ihrer Pfarrgemeinde. Da erlebte man Kirche persönlich und spürte eine gewisse Geborgenheit und Mitverantwortung. Heute ist das leider anonymer geworden, wohl auch wegen der immer größer werdenden Seelsorgseinheiten. Das, was man von Kirche erfährt, sind dann meistens nur Skandale und Nachrichten, wenn etwas schiefgelaufen ist. Das Gute, das nach wie vor, vor allem durch unsere Ehrenamtlichen geschieht, wird nicht thematisiert. So ergibt sich leider oft nur ein negatives Bild, das dem eigentlichen Bild der Kirche vor Ort nicht entspricht. Leider muss man auch bemerken, dass sich so etwas wie ein „Franziskus­effekt“ nicht eingestellt hat – im Gegenteil.

Ohne eine Änderung der Zugangsvoraussetzungen zum Priesteramt, zum Beispiel in der Zulassung von Priesterinnen und verheirateter Pries­ter, wird sich der zunehmende Pries­termangel weiter negativ bemerkbar machen – davon ist die kirchenkritische Bewegung ,Wir sind Kirche‘ überzeugt. Was glauben Sie?

Stübinger: Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Aufmerksamkeit diese Bewegung bekommt. Allein den Namen finde ich anmaßend, denn er hat etwas Exklusives. Angesichts der Bedeutungslosigkeit dieser Gruppe im konkreten Pfarralltag lehne ich ein Deutemonopol, das sich diese Gruppe selber gegeben hat, ab. Kritik, die aus Liebe motiviert ist, ist wertvoll, niederreißende Kritik nicht! Man sollte eher die fragen, die sich trotz aller Herausforderungen aus Liebe für die Kirche in ihr einsetzen, das wären gewichtigere Gesprächspartner, und davon gibt es in den Pfarreien, in denen ich Hirte sein darf, sehr viele! Wenn Leute immer sagen, dass man den Zölibat abschaffen sollte, frage ich immer: ,Seh ich so unglücklich aus?‘ Und dann antworten alle: ,Auf keinen Fall.‘ Es liegt nicht an der Lebensform, ob man glücklich wird, sondern an der Art und Weise, wie man sie lebt. Ich denke, dass man auch in der Ehe unglücklich sein kann, und trotzdem ist die Ehe an sich eine wunderbare Lebensform. Dass die Problematik nicht mit der Abschaffung des Zölibats gelöst werden kann, zeigt die evangelische Kirche: Die hat alles, was gefordert wird, und dennoch hat sie nicht mehr Nachwuchs, geschweige denn einen besseren Kirchenbesuch. Der ist bei den Katholiken weitaus höher, wie die Statistiken belegen. Das Problem liegt tiefer! Man muss fragen: Warum hat es die Generation meiner Eltern nicht geschafft, den Schatz des Glaubens an die Kinder weiterzugeben? Die Frohbotschaft muss in einem selber brennen, bevor man andere dafür begeistern kann.

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass nur an den Symptomen herumgedoktert wird, anstatt durch Reformen die eigentlichen Ursachen der Kirchenkrise zu beseitigen . . .

Stübinger: Strukturen ohne Geist bringen nichts. Insofern gebe ich da schon recht. Aber eine innere Reform wäre nötiger. Die heilige Mutter Theresa von Kalkutta antwortete einmal auf die Frage, was sich in der Kirche ändern sollte: ;Sie und ich!‘

Sonntagsgottesdienste sind längst nicht mehr so gut besucht wie noch vor zehn oder 20 Jahren. Eine Ausnahme bilden besondere Gottesdienste, so wie der Hummelgottesdienst in Pleinfeld, bei dem Sie eine Predigt in Form einer Büttenrede gehalten ha­ben. Beweist das, dass sich die Kirche mehr für Neues öffnen müsste und manche Tradition über Bord werfen sollte?

Stübinger: Ich kann mich über meine Kirchenbesucherzahlen auch sonst nicht beklagen. Tradition ist Wachhalten der Glut, nicht Anbetung der Asche. Tradition hilft uns, die ungebrochene Kette aufrechtzuerhalten, die uns mit den Müttern und Vätern unseres Glaubens verbindet. Tradition ist die Weitergabe eines Schatzes durch lebendige Zeugen. Das Wesentliche im Leben kann sich keiner selbst sagen! So muss einem Menschen gesagt werden, dass er geliebt ist. Dieses Weitersagen eines nicht selbst gemachten Sinnpotenzials bedeutet Tradition. So muss man Traditionen wertschätzen und mit den Herausforderungen der heutigen Zeit verbinden. Übrigens ist so etwas wie eine Hummelmesse ein Beitrag, um Traditionen zu fördern. Übrigens erlebe ich bei vielen Trauungen, die ich halte, dass die sogenannten ,Fernstehenden‘ nach dem Gottesdienst immer ganz angetan sind, wie schön und feierlich die Ze­remonien in der katholischen Kirche sind.

Sie sind ein Pfarrer, der eine Freude an seinem Beruf und seiner Berufung ausstrahlt. Wie könnte man denn mehr junge Männer davon überzeugen, dass Pfarrer ein Beruf sein kann, der nicht nur Entbehrungen mit sich bringt, sondern auch viel geben kann?

Stübinger: Erst einmal vielen Dank für dieses nette Kompliment, das mich freut! Wenn wir Christen nicht mehr Freude ausstrahlen, ja wer denn dann? Uns trägt eine Freude, die uns kein Mensch geben, aber zum Glück auch nicht nehmen kann. Freude bringt ein Leben aus der Faszination darüber, dass das Wort Jesu trägt. ,Die Freude an Gott ist unsere Kraft’, heißt es in der Heiligen Schrift. Die Freude kommt aus der Erfahrung des Geliebtseins. Und diese Erfahrung schenkt Gott mir nicht nur für mich persönlich, sondern damit ich sie weiterschenke. Und das macht dann wiederum Freude. Die Fröhlichkeit hat mir Gott in die Wiege gelegt, und sie hilft mir, dass ich so manches Schwere meistere. Ich versuche durch mein Lebenszeugnis zu zeigen, dass ein Mensch, der sich Gott schenkt, nicht auf der Strecke bleibt. Ich kann nach 15 Priesterjahren sagen: ,Ich würde es auf jeden Fall wieder so machen und habe es keine Sekunde bereut, dass ich Priester geworden bin!‘ Auf die großen Fragen des Lebens  ,Woher komme ich? Welchen Sinn hat mein Leben? Wofür lohnt es sich zu leben? Wohin gehe ich einmal?‘ haben wir Christen noch immer wunderbare Lösungs­ansätze, die im Leben und selbst im Tod tragen.

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