Leicht niederträchtig

20.8.2017, 16:15 Uhr
Leicht niederträchtig

Seit ich in Weißenburg bin, und das ist nun schon eine ganze Weile, habe ich niemanden, aber wirklich niemanden, in Tracht gesehen, we-der im Dirndl noch in der Lederhose, geschweige denn in Haferlschuhen oder Stutzen. Die einzigen Trachten, denen ich begegnet bin, waren Motorradklüfte oder Anglerjacken, Cargohosen oder Dockers. Das wird sich nun zur Kerwa, während Weißenburgs fünfter Jahreszeit, ändern, da wird ganz Weißenburg von Kleidung alpenländischer Provenienz besetzt.

In Österreich galt die Tracht lange Zeit als Synonym für verstockte, nationale, heimatliebende Rechtslastigkeit, die kein sich für fortschrittlich haltender Mensch jemals freiwillig angezogen hätte. Mittlerweile ist das anders, hat sich die Tracht von jedem ideologischen Ballast befreit, verkleiden sich nicht nur die bürgerlichen Wiener und Grazer, wenn sie ins Ausseerland fahren, sondern sogar der Herausgeber einer traditionell linken Wochenzeitung, den man im Anzug schnell mit Julius Meinl V. verwechseln könnte, wirft sich bei jeder Gelegenheit in Lederhosen und Tischtuchhemd-Schale.

Natürlich ist gegen die Tracht, so sie historisch verwurzelt ist, nichts einzuwenden. Aber als Verkleidung? Sehr frei nach einem Filmzitat könnte man (leicht niederträchtig) sagen: Männer in Uniformen haben dieses Land kaputt gemacht, Männer in Jeans haben es wieder aufgebaut, damit Männer in Trachten was zu feiern haben.

Zurück zur Kerwa: Für die österreichischen Botschafterinnen und Botschaftersgattinnen auf der ganzen Welt ist der wichtigste Termin im Jahr der Nationalfeiertag, an dem es gilt, den Gästen einwandfreie Wiener Schnitzel und Apfelstrudel vorzusetzen, was in Dakar, Lima, Jakarta oder wo auch immer eine ziemlich Herausforderung ist. Woher die Semmelbrösel nehmen, die süßsauren Äpfel und die Preiselbeermarmelade?

So ähnlich muss es dem Weißenburger Oberbürgermeister gehen, wenn er dieser Tage den Bieranstich vorzunehmen hat. Der gute Ruf ei­nes ganzen Jahres hängt von drei Schlägen ab, dann muss das Ding drinnen sein. Nicht auszudenken, was alles passieren kann. Es gab ja schon tödliche Unfälle mit Sahnespender-Druckkapseln. Um wie viel gefährlicher ist da erst ein mit vergorener Flüssigkeit gefülltes Fass? Aber es reicht ja bereits, wenn ein Schlag die oberbürgermeisterliche Hand trifft, der Zapfhahn entgleitet, der bernsteinfarbene Hopfenblütentee ausfährt und sich die Ehrengäste vorkommen wie erfolgreiche Fußballtrainer – bierdurchweicht.

Nein! Derartiges wird nicht geschehen. Auch einer andren Klamotte ist der OB, zumindest soweit sich das ergoogeln lässt, bislang erfolgreich ausgewichen, nämlich der, sich zum Bieranstich trachtig einzurüsten. Gut so, schließlich liegt Weißenburg nicht in Niederbayern, und historische Trachten, so es sie denn gibt, müssten wohl erst einmal rekonstruiert werden. Prost.

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