Leute, die in sich ruhen

14.8.2017, 10:51 Uhr
Leute, die in sich ruhen

Weißenburg besitzt nicht nur die kürzeste Fußgängerzone der Welt – beim alten Rathaus, woraus sich fremdenverkehrstechnisches Kapital schlagen ließe –, sondern auch das kurioseste Fotoatelier zwischen Spitzbergen und Rhodos: ein adaptiertes, ehemaliges Trafo-Häuschen. In dieser Mischung aus Baumhaus und Loggia betreibt der Lichtbildner Jochen Wieland seine Kollodium-Fotographie, eine ziemlich aufwendige, vor über hundertsechzig Jahren entwickelte Methode mit Nassplatte und Silbernitrat.

Sämtliche Fotopioniere von Sa­cramento bis Wladiwostok werden sich vor Freude in Fotoemulsion gewälzt haben, als dieses unpraktische Verfahren endlich durch ein handlicheres ersetzt worden ist. Jochen Wieland, der King of Kollodium, aber beharrt darauf. Er hat mich (wie auch andere Weißenburger) porträtiert, ist mir in seinem umgebauten Trafo-Häuschen mit einer Uraltkamera und ultrastarken Scheinwerfern bis an die Nasenspitze herangerückt, nein, eigentlich ist er bis in die Hautporen geschloffen, um ein bemerkenswertes Bild zu schaffen, das mich wie einen Indianerhäuptling aussehen lässt, der gerade seinen Tomahawk gegen eine Portion Schäufele eingetauscht hat.

Weniger aufwendig war für mich das Bild von Rudolf Schleußinger; der autodidakte Kaltnadelstecher hat sein Bild „Der Stadtschreiber“ nämlich zu einem Zeitpunkt gefertigt, da es in Weißenburg noch gar keinen gegeben hat. Geradezu prophetisch zeigt das Bild einen Schafskopf, der sich von den paar Lichtflocken, die in seine dunkle Stube schneien, inspirieren lässt. So falsch ist das vielleicht gar nicht?

Mich hat es in den letzten Monaten viel herumgerissen (zwischen Hamburg und Klagenfurt, Genf und Bratislava war ich unterwegs, um die Werbetrommel für den neuen Roman zu schlagen), aber immer wenn ich nach Weißenburg gekommen bin, war ich sofort wieder geerdet.

Hier herrscht keine unbotmäßige Hektik, die Leute verlieren sich nicht in ihren Terminen, das Leben ist geruhsamer. Manche mögen das als träge, hinterwäldlerisch oder provinziell empfinden. Ich glaube aber, und da bin ich vielleicht wirklich schafsköpfig, dass dieser Lebensstil recht authentisch ist. Natürlich, hier fallen auch die schwarzen (korrupten) Schafe, so es sie denn gibt, stärker auf als in der Stadt.

Weißenburg in der Provence

Aber die Provence, so klingt das Wort Provinz gleich viel freundlicher, bringt auch Leute wie Jochen Wieland oder Rudolf Schleußinger hervor, Menschen, die konsequent und unbeirrt von allen Modetrends ihren Weg verfolgen.

Und davon habe ich in Weißenburg jetzt schon viele kennengelernt: Buchhändler, Wirte, Künstler, Unternehmer, Angestellte . . . Leute, die in sich ruhen, und mit ihren narrativen Lichtpartikeln den Schafskopf inspirieren.

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