Mahnwache am Weißenburger Luther-Platz

5.10.2018, 06:00 Uhr
Mahnwache am Weißenburger Luther-Platz

© Rainer Heubeck

Aktuell werden Schiffsbesatzungen kriminalisiert und angeklagt, die Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten. „Dabei ist die Rettung aus Seenot eine Urpflicht“, betonte Piephans bei der Mahnwache „Seebrücke – schafft sichere Häfen“. Diese hatten lokal die beiden Kirchen, mehrere Parteien und gesellschaftlich aktive Organisationen unterstützt. Der Ettenstatter Pfarrer nannte auch aktuelle Zahlen: Dem UNHCR-Hilfswerk zufolge sind bis zum 3. Oktober 1737 Menschen im Mittelmeer ertrunken – das sind jene, die namentlich bekannt sind. „Das ist in etwa die Zahl an Einwohnern der Gemeinde Solnhofen“, verdeutlichte Piephans. Nicht bezifferbar seien die vielen Geflüchteten, die auf dem Weg durch die Sahara oder in den Lagern in Libyen sterben. „Das wird von der Öffentlichkeit und Politik einfach hingenommen“, klagte der Pfarrer. Dieses Wegsehen geschehe „aber nicht im Namen derer, die hier sind“, betonte Piephans unter dem Beifall der Mahnwachen-Teilnehmer. Und: „Wir sind hier, um den Toten eine Stimme zu geben und ein kleines Leuchtfeuer im dunklen Europa zu setzen.“

Was Menschen auf sich nehmen, um aus ihrer Heimat zu fliehen, weil dort Hunger oder Krieg herrschen, machte Stephan Reichel deutlich. Der Geschäftsführer von „matteo – Kirche und Asyl“ berichtete über einen Jugendlichen aus Sierra Leone, dem vom Bürgerkrieg gebeutelten drittärmsten Land der Erde. Der 16-Jährige wurde von der Mutter aus der Heimat weggeschickt, da sie ihn nicht ernähren konnte. Er schaffte es durch die Sahara und in Libyen auf ein Flüchtlingsboot. Das sank, er wurde gerettet, aber in ein libysches Lager gesteckt, dort geschlagen und zur Zwangsarbeit gezwungen. Der zweite Versuch, übers Mittelmeer zu kommen, gelang, und über die Schweiz kam er nach Deutschland. „Hier wurde er dann mit 500 anderen Landsleuten in ein Zentrum bei Deggendorf eingesperrt“, sagte Reichel erschüttert. Dort leben weitgehend abgeschottet von der Au­ßenwelt jeweils acht Menschen auf 15 Quadratmetern – ohne Betreuung oder Hilfen für die schwer traumatisierten Geflüchteten. „Der Landrat dort hetzt – und die AfD bekam 20 Prozent der Stimmen“, so Reichel konsterniert. Seine Forderung: „Wir müssen die Menschen bei uns erst einmal richtig aufnehmen.“

Der Jugendliche aus Sierra Leone ist mittlerweile in Wallerstein bei Oettingen angekommen und besucht in Nördlingen die Schule. Dort werde sich auch um ihn gekümmert und für ihn sei es fast das Paradies gegenüber den früheren Umständen in den Flüchtlingszentren, sagte der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose.

Fluchtgründe beseitigen

Reichel forderte die Politik auf, endlich ernsthaft und aktiv die Fluchtgründe zu beseitigen, die mafiösen Strukturen der Schleuser zu bekämpfen, ein Asylsystem zu schaffen, das Menschen auch in den nordafrikanischen Ländern aufnimmt, ein Ende der Abschiebungen in das nach rechts gedriftete Italien und eine menschenwürdige Aufnahme der Geflüchteten in Deutschland mit Therapie. Reichel zitierte ein christliches Leitmotiv, demzufolge gehandelt werden sollte: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.“ Er lobte das Engagement in Weißenburg und Umgebung für Hilfe und Integration der Geflüchteten. „Weißenburg schaut hin und packt an.“

Diese Aktivitäten hat auch Burk­hard Hose schon wahrgenommen. Er hätte schon bei der Kundgebung im August sprechen sollen, war da aber verhindert und blickte nun auf die aktuelle Lage. Für ihn ist eine Wende in der Flüchtlingspolitik möglich, da „eine zunehmende Zahl an Menschen auf die Straße geht. Die wissen, was Mitmenschlichkeit ist“. Hose erzählte von zwei Studenten an der Würzburger Uni, die schon in der Seenotrettung aktiv waren und auf dem Mittelmeer Menschen gerettet haben. Sie müssen sich nun den Vorwurf anhören, sie unterstützen den „Asyltourismus“ oder würden kriminelle Machenschaften unterstützen. Besonders schlimm ist für Burkhard Hose die Kriminalisierung der Seenotretter. „Jeden Tag, an dem die Boote festliegen, ertrinken Menschen im Mittelmeer.“

Der „Tag der Deutschen Einheit“ sollte aus seiner Sicht mehr sein als ein Tag zum Feiern, sondern auch ein Auftrag – zur Besinnung darauf, „in welcher Gesellschaft wir leben wollen“. Dabei ginge es nicht um linke oder rechte Ansichten, sondern Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Aktuell werde inhumane Politik legalisiert, so Hose, zumal Abschiebungen oder die Verhinderung der See­notrettung im Mittelmeer in Gesetze gegossen würden. „Es gibt kein Gesetz, dass über dem Gebot steht, Menschenleben zu retten.“ Mit christlichen Werten habe das nichts mehr zu tun. Überaus sauer ist ihm aufgestoßen, dass Pegida-Demonstranten hinter dem Symbol des Kreuzes marschierten. „Das ist die Pervertierung christlicher Traditionen.“

Die Mahnwache im Schatten von St. Andreas wurde von Harald Dösel sowie dem Trio „Könige und Propheten“ (Klaus Neumann, Thomas Stadtmüller und Holger Weisel) begleitet. Klaus Neumann erzählte auf dem Podium, wie er das erste Mal als „Gutmensch“ betitelt worden sei, dann aber feststellen musste, dass der ursprüngliche Sinn des Wortes ins Gegenteil verkehrt wurde und der Begriff als Schimpfwort gemeint war. „Ich nehme das jetzt als Ehrenbezeichnung. Und bitte: Seid mit mir alle Gutmenschen.“

„Moralische Insolvenz“

Victor Rother, zusammen mit Joachim Piephans einer der Hauptorganisatoren, wandte sich zum Abschluss entschieden gegen Hass und Hetze und zitierte den Christdemokraten Norbert Blüm: „Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden ,Europa‘ wegen moralischer Insolvenz.“

Zu den abschließenden fünf Schweigeminuten läuteten die Glocken der Weißenburger Stadtkirche – und erinnerten an die angemahnten Werte.

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