Vielleicht wird 2015 ja das Degenkolb-Jahr

4.7.2015, 07:00 Uhr
Vielleicht wird 2015 ja das Degenkolb-Jahr

© Roth

„Aller guten Dinge sind drei“, sagt man. Wie finden Sie, Herr Degenkolb, dieses Sprichwort im Hinblick auf die Tour de France?

John Degenkolb: Natürlich hoffe ich, dass mir dieser Spruch Glück bringt und dass es bei meinem dritten Tour-Start endlich mit dem ersten Etappensieg klappt.

Mit dem Erfolg bei Paris–Roubaix hat sich in diesem Jahr bereits einer Ihrer ganz großen Träume als Radsportler erfüllt. Wie sehen Sie Ihre Chancen, dass Sie nun in Frankreich ein weiteres großes Ziel Ihrer Karriere, nämlich einen Etappensieg bei der Tour de France, erreichen können?

Degenkolb: Bei mir ist soweit alles gut, ich bin entspannt und relaxed und freue mich, dass es jetzt losgeht. Ich fühle mich wirklich gut, weil ich im Frühjahr nicht nur mehrere Rennen, sondern dadurch auch das nötige Vertrauen in mich selber gewonnen habe. Ich denke, die Zeichen für einen Etappensieg stehen insgesamt ganz gut, auch wenn es eine etwas komische Situation ist, dass Marcel Kittel diesmal nicht dabei ist.

Ihr Freund und Teamkollege von Giant Alpecin hat in den vergangenen zwei Jahren bei der Tour insgesamt acht Etappen gewonnen. Wie empfanden Sie seine Nichtnominierung?

Degenkolb: Ich finde es schade für Marcel und unser Team und es hat mich ein wenig überrascht. Es war aber auch abzusehen, weil er im Frühjahr mit einer Viruserkrankung zu kämpfen hatte. Sportlich betrachtet ist die Entscheidung nachvollziehbar. Und wir müssen auch keine Angst davor haben, dass wir ohne Marcel nicht erfolgreich sind. Wir haben drei richtig gute Karten in unserem Team: Beim Zeitfahren zum Auftakt in Utrecht ist es der Holländer Tom Domoulin, der in seiner Heimat natürlich besonders motiviert ist. In den bergigen Etappen können wir vor allem auf Warren Barguil setzen und bei den Sprints bin dann ich am Zug.

Fühlen Sie mehr Druck, weil Sie nun als alleiniger Kapitän Ihres Teams ins Rennen gehen und sich vieles noch mehr auf Ihre Person fokussiert?

Degenkolb: Die Erwartungshaltung ist nach meinen Erfolgen im Frühjahr ohnehin schon groß. Es klingt vielleicht ein wenig hart gegenüber Marcel, aber die alleinige Kapitänsrolle ist auch eine große Chance für mich, und ich hoffe, dass ich sie nutzen kann.

Die Erfolge im Frühjahr waren vor allem der erwähnte Sieg bei Paris–
Roubaix aber auch Mailand–Sanremo, zwei sogenannte Monumente des Radsports. Empfinden Sie die Erfolge eher als Bürde oder mehr als Befreiung für die laufende Saison 2015?

Degenkolb: Es geht insgesamt leichter. Ich muss nichts mehr erreichen, muss nicht mehr liefern. Es ist einfach die Sicherheit da, in dieser Saison schon richtig was gepackt zu haben. Das ist schon eine Befreiung. Es kommt allerdings auch eine gewisse Bürde dazu. Ich denke aber, dass ich professionell genug bin, das nicht zu stark an mich ranzulassen und mein Ding durchzuziehen.

Nach den Frühjahrsklassikern war der Rummel um Ihre Person besonders groß. Immerhin waren Sie erst der zweite Deutsche, der in Roubaix gewonnen hat, und die Kombination mit dem Erfolg in Sanremo ist ebenfalls eine absolute Ausnahme. Sogar im ZDF-Sportstudio, wo Radsportler in den vergangenen Jahren so gut wie gar nicht eingeladen waren, hatten Sie einen Auftritt.

Degenkolb: Ja, da hat sich schon einiges bewegt und es hat sich viel verändert in der Wahrnehmung des deutschen Radsports. Ich bin stolz, dass ich meinen Beitrag dazu geleistet habe. Speziell bei der Deutschen Meisterschaft vergangenen Sonntag hat man gesehen, dass die Begeisterung noch da ist. Viele Fans standen bei der Busankunft in einer Traube von Menschen Schlange für ein Autogramm oder ein Foto. International war diese Begeisterung immer da, speziell in Deutschland war sie in den vergangenen Jahren aber kaum zu spüren.

Bei der „Deutschen“ waren Sie als einer der Topfavoriten ins Rennen gegangen, mussten sich am Ende aber mit Rang 16 begnügen. Enttäuscht oder dennoch zufrieden?

Degenkolb: Das war ein Stück weit den Umständen geschuldet, im Rennen hatte ich einiges Pech. Ich persönlich habe mich gut gefühlt auf dem nicht ganz einfachen Kurs. Es ist aber eben auch schwer, als Sieganwärter, der unter ständiger Beobachtung steht, entscheidende Akzente zu setzen. Insgesamt glaube ich, dass ich meine gute Form gezeigt habe, die sich halt leider nicht im Ergebnis widergespiegelt hat. Am Ende war ich froh, dass es mit dem zweiten Rang und Silber für meinen Teamkollegen Niklas Arndt doch noch ein optimales Rennen für unsere Mannschaft war.

Durch den Sieg des jungen Emanuel Buchmann gab es eine echte Überraschung und dadurch ist auch die nachkommende Radsport-Generation ins Blickfeld gefahren.

Degenkolb: Ich sehe das sehr positiv  und es zeigt die Superperspektive im deutschen Radsport. So ein Typ wie Emanuel, der auch in den Bergen seine Stärken hat, hat uns noch gefehlt. Er war ein verdienter Sieger, und ich habe mich sehr für ihn gefreut. Schön ist auch, dass er bei der Tour dabei ist und sich auf der großen Bühne beweisen kann. Es tut sich was in Deutschland. Es ist gut, wenn die nächste Radsport-Generation nachkommt, die mit dem Thema Doping umgehen kann und keinen Hehl aus der Null-Toleranz-Politik macht. Es wäre schön, wenn sie unsere Generation als Vorbild nehmen und an unsere Stelle treten.

Im Zusammenhang mit der Deutschen Meisterschaft und dem 22-jährigen Sieger hat man Sie mit Ihren 26 Jahren in manchen Medien bereits als „Routinier“ bezeichnet.

Degenkolb (lacht): Na ja, als Routinier fühle ich mich noch nicht. Ich hoffe und denke, dass ich schon noch zehn Jahre als Profi vor mir habe.

Dennoch deutet die Bezeichnung auf einen gewissen Vorzug hin: Sie gehören inzwischen nicht mehr zu den jungen Talenten, sondern haben die nötige Routine, sprich Erfahrung, für die großen Rennen.

Degenkolb: Ja, das stimmt, und es läuft heuer alles gut. Vielleicht wird es ja das Degenkolb-Jahr: zuerst die Geburt unseres Sohnes, dann die Siege bei den Frühjahrsklassikern oder auch bei der Bayernrundfahrt und nun die Tour de France. Das grüne Trikot für den besten Sprinter ist ein großer Traum von mir und schwirrt mit. Ob es heuer klappt, wird sich zeigen. Ziel muss für mich vor allem der erste Etappensieg sein und natürlich will ich auch in Paris ankommen.

Wird Ihre Familie dabei sein?

Degenkolb: Ja, zum Auftaktwochenende in Holland und zum Abschluss in Paris.

Wie haben die letzten Tage vor dem Großereignis ausgesehen?

Degenkolb: Ich bin am Dienstag nach Utrecht angereist. Es standen viele Interviews am Programm, die offizielle Teampräsentation, Medizin-check und einiges mehr. Langsam spürt man schon das Tour-Feeling und die Begeisterung. Selbst bei unserem „Bike Ride“ mit den Fans waren unheimlich viele Leute dabei. Natürlich habe ich mich regelmäßig aufs Rad gesetzt, um dem Trubel etwas zu entkommen und den Körper auf Spannung und den Motor am Laufen zu halten. Das Hauptaugenmerk in den Tagen vor dem Start gilt der Erholung. Man muss Kraft tanken und den Fokus finden, damit man bereit ist, im Rennen ans Limit zu gehen. Alles in allem gehe ich mit einem guten Gefühl auf die erste Etappe.

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