Vierbeinige Schlange in Solnhofen

24.7.2015, 08:05 Uhr
Vierbeinige Schlange in Solnhofen

© Heubeck

Die Platte mit der gerade mal 20 Zentimeter langen versteinerten Schlange ist eher unscheinbar. Dem Stück erging es wie Hunderten anderer Funden aus der zu Stein gewordenen Erdgeschichte: Es schlummerte in einer Sammlung vor sich hin, wurde ab und an öffentlich gezeigt, die eigentliche Sensation blieb aber verborgen unter weiteren Gesteinsschichten. Auch in Solnhofen war die Steinplatte schon zu sehen gewesen – in einer Sonderschau mit Versteinerungen aus Brasilien. In dem südamerikanischen Land gibt es aus der frühen Kreidezeit eine den Solnhofener Plattenkalken ähnliche Gesteinsformation – da lag es für Museumsleiter Dr. Martin Röper nahe, auch Fossilien von dort zu zeigen.

Bislang einzigartig

Bei der Ausstellung in Solnhofen erregte die kleine Platte damals das Interesse der beiden Paläontologen Dave Martill (Großbritannien) und Helmut Tischlinger (Stammham). Beide fuhren nochmals nach Solnhofen und untersuchten das Stück. Rasch war klar, dass „ein unglaublich wichtiger Fund“ vor ihnen lag. Mit dem Eigentümer der Versteinerung (der anonym bleiben will) war sich Helmut Tischlinger rasch einig: Der weithin bekannte wie renommierte Präparator durfte das Fossil freilegen.

Vierbeinige Schlange in Solnhofen

© Tischlinger

Was unter dem Mikroskop und mit feinsten Stahlnadeln dann hervorkam, ist bislang einzigartig: Am Schlangenkörper fanden sich im Bereich des Afters und nahe am Kopf vier zurück­gebildete Gliedmaßen, die aber noch eindeutig als Beine zu erkennen sind. Es handelt sich Tischlinger zufolge um ein Jungtier, erwachsene Exemplare könnten auch bis zu einem Meter lang gewesen sein, schätzt der Paläontologe.

„Auf den ersten Blick glaubt man, ein echtes Schlangenfossil vor sich zu haben, aber dann sieht man die winzigen Vorder- und Hinterbeine und beginnt, die enorme wissenschaftliche Bedeutung dieses Fundes zu erahnen“, beschreibt Martill. Schon bisher hatten Wissenschaftler die Theorie, dass sich die Schlangen von vierbeinigen, eidechsenähnlichen Reptilien entwi-ckelten – und finden nun in Solnhofen den Beweis dafür. „Tetrapodophis amplectus“ (so der wissenschaftliche Name) ist ein weiteres „Zwischentier“, ähnlich dem Archäopteryx, der zwar noch kein Vogel, aber auch kein reiner Dinosaurier mehr war.

Wann genau die Schlangen ihre Beine gänzlich verloren haben, ist nicht sicher zu sagen. 100 Millionen Jahre alte Fundstücke von Schlangen zeigen keine Vorderbeine und nur sehr kleine Hinterbeine, die – wie bei dem Solnhofener Fossil – kaum mehr der Fortbewegung dienen konnten. Die „Vierbeinige Schlange“ bringt auch eine Theorie in Wanken, derzufolge sich die Schlangen aus im Meer lebenden Reptilien entwickelt haben. Die Versteinerung zeigt für Martill und Tischlinger keinerlei Anpassungen an ein Wasserleben.

„Unglaubliche Erhaltungsqualität“

Die beiden Paläontologen haben den besonderen Fund zusammen mit ihrem Kollegen Dr. Nick Longrich (Großbritannien) für die heute erscheinende Ausgabe des US-Wissenschaftsmagazin „Science“ beschrieben. Tischlinger ist von dem Fossil nachhaltig begeistert: Es besitzt eine „geradezu unglaubliche Erhaltungsqualität“. Zu erkennen sind unter UV-Licht sogar der Mageninhalt (ein kleines
Wirbeltier), die typischen Bauchschuppen von Schlangen, die gekrümmten Zähne und sogar die Luftröhre – und  nicht zu vergessen die vier Beine.

„Tetrapodophis“ wird als Dauerleihgabe im Solnhofener Museum zu sehen sein. Die von der Gemeinde unterhaltene Einrichtung hat damit ein weiteres weltweites Alleinstellungsmerkmal – neben drei Originalfunden des Archäopteryx und des befiederten Raubdinosauriers „Sciuru-mimus“. „Wir haben mit der Vierbeinschlange einen weiteren wichtigen Zeugen der Evolution im Museum“, freut sich Martin Röper über die Leihgabe ans Museum Solnhofen. Das ist inzwischen ein „Weltklassemuseum“ (Martill) und auch für Tischlinger „ein guter Ort, an dem das Objekt gezeigt wird“.

Keine Kommentare