Wieder hört ein Weißenburger Einzelhändler auf

5.3.2019, 06:00 Uhr
Wieder hört ein Weißenburger Einzelhändler auf

© Markus Steiner

Dabei hat der 71-Jährige nie den Beruf des Einzelhändlers erlernt, sondern wurde quasi in seinen Beruf hi­neingeboren und ist in dem Schreibwarenladen groß geworden, in dem es längst nicht nur Schreibwaren gibt. Es ist einer jener Läden, in denen einem vor allem als Kind die Augen übergehen, weil es in den Regalen scheinbar nichts gibt, was es nicht gibt. Neben unzähligen Zeitschriften und Zeitungen gibt es hier auch Bastel- und Dekoartikel, Spielwaren, Stifte, Hefte in allen Größen und Lineaturen, Schultüten, Büchertaschen und Kinderspiele.

Der Laden wurde 1965 umgebaut und auf 180 Quadratmeter Verkaufsfläche vergrößert und war damals der erster sogenannte „Freiwahlladen“ für Schreibwaren und Bürobedarf in ganz Weißenburg, erinnert sich Dieter Wägemann: „Freiwahlladen hieß, dass man sich hier selbst bedienen durfte.“ Damals noch ein Novum in einem Schreibwarenladen. Ganz anders als heute, wo die meisten Menschen Schulhefte, Zeitschriften und Büro­artikel einfach vom Einkauf im Supermarkt mit nach Hause bringen.

Das ist letztlich auch der Grund, warum Dieter Wägemann sich entschloss, nicht so lange hinter dem Tresen zu stehen wie seine Mutter. Grete Wägemann war bis zu ihrem 84. Lebensjahr die Seniorchefin und stand noch täglich in ihrem Geschäft. Ihr Sohn hat sich schweren Herzens dann doch entschlossen, es schon ruhiger angehen zu lassen.

Übermächtige Konkurrenz

Was ihm den Abschied von seinem Laden leichter macht, ist die immer übermächtigere Konkurrenz im Internet und durch die großen Konzerne. „Der Druck der Discounter und das Internet sind so groß, dass sich kleine Geschäfte wie unseres zurückziehen müssen und zur Geschäftsaufgabe gezwungen werden“, sagt er mit Bedauern in der Stimme.

Wägemann ist aber Realist genug, um zu wissen, dass man den Zahn der Zeit nicht mehr zurückdrehen kann. Viele seiner jahrzehntelangen Stammkunden sind bereits gestorben, junge Kunden bekommt er so gut wie nie zu Gesicht. Auch die waren früher Stammkunden in der Obertorstraße 16. Zumindest einmal die Woche, als die neue „Bravo“ herauskam, von der er früher bis zu 120 Stück verkaufte. In einer Zeit der Geiz-ist-geil-Mentalität, in der nur noch der Preis zählt, können kleine Einzelhändler wie Wägemann, die in keinem Verband organisiert sind, nicht mehr mithalten. Dennoch hat er es nie be­reut, Einzelhändler zu sein: „Ich bin Einzelhändler mit Leib und Seele und war immer frei – ohne Druck von oben.“

Seine Frau Ruth, die auch im Laden mithilft, weiß, dass ihrem Mann der Abschied schwerfallen wird: „Er kann sich nicht sofort ganz von ihm trennen.“ Deshalb wird Wägemann seinen Laden nicht von heute auf morgen zusperren, sondern sich langsam davonschleichen. Es wird ein Abschied auf Raten: Erst beginnt der Ausverkauf der Schreibwaren, Büro- und Deko­artikel. Den Lotto-Totto-Laden, den Hermes-Shop und die Zeitschriften und Karten wollen Ruth und Dieter Wägemann noch eine Weile weiter­führen.

„Wenn wir einen neuen Mieter finden, dann würden wir alles aufgeben“, sagt Dieter Wägemann, der das beste Geschäft in den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte. In einer Zeit, in der es noch keine Discounter gab, die die Schulhefte billiger verkaufen können, als sie Dieter Wägemann im Großhandel selbst einkaufen kann.

Seine Frau Ruth weiß natürlich auch, dass diese goldenen Zeiten längst Geschichte sind und sich heutzutage kaum noch ein Kunde bewusst Gedanken darüber macht, wo er einkaufen soll, sondern vor allem dahin geht, wo es die billigsten Angebote gibt. Schreibwarenläden wie den ihren wird es bald überhaupt nicht mehr geben. Das ist auch Ruth Wägemann völlig klar: „Die Kinder sind mit den Supermärkten aufgewachsen und wissen, dass es dort alles gibt. Bei uns waren sie noch nie.“

Keine Kommentare