Wurden Psychiatrie-Patienten 60 Tage lang am Bett fixiert?

21.12.2013, 15:02 Uhr
Wurden Psychiatrie-Patienten 60 Tage lang am Bett fixiert?

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Der Fall klingt extrem. Der Patient R. soll in der Forensik des Bezirkskrankenhauses Taufkirchen im Landkreis Erding zwischen Oktober 2011 und Mitte Februar 2012 angeblich fünfmal über einen längeren Zeitraum fixiert worden sein, einmal sogar 60 Tage lang.

Zeugen berichten über permanente erschütternde Hilferufe des Mannes. Er weise viele Schürfwunden durch die Bettfesseln auf. Als Transsexueller sei er in der forensischen Abteilung der Psychiatrie, wo Straftäter mit krankhaften Störungen untergebracht sind, ohnehin besonderen Schikanen ausgesetzt, behaupten Informanten gegenüber unserer Redaktion.

„Folterähnliche Umstände“

Mittlerweile ist R. in die Bezirksklinik Straubing verlegt worden; Gustl Mollath nennt die Einrichtung sarkastisch „Hochsicherheits-Forensik“. Er habe in den Psychiatrien mitunter „folterähnliche Umstände“ erlebt.

Die Psychiatrie in Taufkirchen indes gerät nicht zum ersten Mal in den Verdacht, Untergebrachte zu lange festgeschnallt zu lassen. Der Fall Ilona H. zum Beispiel ist von Klinikchef Matthias Dose bestätigt worden.

Die 57-Jährige wurde 25 Stunden lang auf einem Bett im Kamera-überwachten Isolationszimmer fixiert. Während der 25 Stunden werden Hände und Füße taub; Schmerzen stellen sich ein; Ilona H. nässt sich fünfmal ein; Kleidung und Bettbezug werden nicht gewechselt. Rechtsanwalt Adam Ahmed nennt den Vorfall rechtswidrig und menschenunwürdig.

Klinikchef Dose erklärt, die Patientin habe das Personal damals unflätig beleidigt, sich widersetzt, einen Pfleger getreten und einen Pappteller mit Essen hinter sich geworfen.

Bezirkskrankenhaus will sich nicht äußern

Personen aus dem Unterstützerkreis des Nürnberger Psychiatrie-Kritikers Mollath verfügen über einen Audiomitschnitt aus der Forensik Taufkirchen vom 7. Dezember 2013, auf dem durchdringende Schreie aus einem Isolierzimmer mit Fixierbett zu hören sind. Zeugen berichten von Hilferufen über einen Zeitraum von einer Dreiviertelstunde. Von 2005 bis 2010 seien solche Fesselungen nahezu täglich durchgeführt worden.

Die Forensiken berufen sich auf die Schweigepflicht und den Datenschutz. Das Bezirkskrankenhaus Straubing verweigert auf mündliche und schriftliche Anfrage jede Antwort.

Das Sozialministerium erläutert auf Anfrage unserer Redaktion, in allen bayerischen Maßregelvollzugs-Einrichtungen seien auch psychiatrisch schwer kranke Patienten untergebracht, „die phasenweise selbst- und fremdgefährliche Verhaltensweisen zeigen können“. Die Fixierung sei allerdings ein schwerwiegender Eingriff. Für die Maßnahme müsse immer die dokumentierte Zustimmung des Patienten, eine gesetzliche Grundlage, die dies erlaubt, oder ein Rechtfertigungsgrund vorliegen.

Fixierungen seien als Notmaßnahmen ausnahmsweise nur zulässig, wenn ein Patient deutliche Zeichen unmittelbar drohender erheblicher Gefahr erkennen lässt.

Fesselungen könnten daher in Einzelfällen nötig sein, sind jedoch so weit wie nur irgend möglich zu vermeiden. Eine gesonderte richterliche Genehmigung sei bei Personen im Maßregelvollzug nicht erforderlich. Aber: „Eine Fixierung zum Zweck der Disziplinierung ist auch dort untersagt“, so Sprecherin Heike Baumann.  Beschwerden von Patienten, Angehörigen oder Rechtsanwälten prüft das Sozialministerium als Fachaufsicht. Eine besondere Häufigkeit oder Dauer von Fixierungen in Taufkirchen und Straubing sei nicht bekannt, heißt es.

Längere Fesselung ist „wirklich grenzwertig“

Es gibt Situationen, in denen man ohne nicht auskomme, sagt der Regensburger Strafrechtler und Kriminologe Professor Henning Ernst Müller, etwa wenn Patienten in einer Psychose um sich schlagen. Doch eine 25-stündige oder gar längere Fesselung sei „wirklich grenzwertig“. Experten fordern, den Patienten spätestens alle sechs Stunden loszuschnallen. In Bayern gibt es keine Richtlinie dazu, weil ein Maßregelvollzugsgesetz fehlt. Die Rechtsprechung besage aber, so Müller, dass bei einer über 24 Stunden hinausgehenden Fixierung ein richterlicher Beschluss notwendig ist. Nach dem Fall Ilona H. sei in Taufkirchen selbst und in Fachkreisen eine Diskussion über Reformbedarf angestoßen worden. Allerdings werde dort nach wie vor eine Fixierung der Alternative Zwangsmedikation - etwa durch eine Spritze - vorgezogen.

Die Landtagsabgeordneten Horst Arnold (Fürth, SPD) und Verena Osgyan (Nürnberg, Grüne) kündigen Initiativen dazu an. Nach dem Fall Mollath müsse alles aufgerollt werden, was mit Unterbringung zu tun hat.

Der Abgeordnete Florian Streibl (Oberammergau, Freie Wähler) hat bereits reagiert und die Staatsregierung am Freitag in einer Anfrage aufgefordert, Zahlen, Ursachen und Konsequenzen zu Unterbringungen in Bayern aufzuzeigen.

„Auf der Stufe eines Tieres“

Streibl will wissen, ob die Staatsregierung „nun endlich in Betracht zieht, das Unterbringungsgesetz durch ein Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychiatrischem Hilfebedarf zu ersetzen“. Nötig sei zumindest eine Überarbeitung, besonders eine Neuregelung für Zwangsbehandlungen, die Grundrechte der Untergebrachten und deren Einschränkung, für transparente Verfahren und Kontrollinstanzen.

Eine Fixierung sei einer der massivsten Eingriffe in Menschenrechte und Menschenwürde, eine Form der Freiheitsberaubung, sagt Streibl im Gespräch mit unserer Zeitung. Sollten die Angaben zu Vorfällen in Taufkirchen zutreffen, sei dies erschreckend.

Ein Patient, der 60 Tage lang fixiert wurde? „Kaum vorstellbar“, so Streibl, „aber seit dem Fall Mollath kann man sich vieles vorstellen.“ Auch bei einer 25-stündigen Fesselung werde man „auf die Stufe eines Tieres degradiert, wobei man bei uns mit Tieren so nicht umgehen würde“.

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