Zu wenige Ärzte in Bayern bieten Drogenersatzstoff an

7.12.2014, 06:02 Uhr
Zu wenige Ärzte in Bayern bieten Drogenersatzstoff an

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Sie hat einen Mann, ein Kind, einen Job. Alles an dieser Frau sieht auf den ersten Blick normal aus – niemand würde auf die Idee kommen, dass sie als junge Erwachsene über einen Partner an ihren ersten Schuss Heroin kam. Dass dann der Tod eines geliebten Menschen sie aus der Bahn riss – und sie süchtig wurde. Trotz alledem ist diese Frau heute eine Erfolgsgeschichte, zumindest sieht das die Drogenhilfe mudra in Nürnberg so. Denn über eine Ersatzdroge, die sogenannte Substitution, kam die junge Mutter von dem Stoff weg, der sie das Leben hätte kosten können. Nachdem sie auch diesen Stoff langsam ausschleichen ließ, ist sie heute tatsächlich clean.

Natürlich ist das nicht in jedem Fall so. Die meisten, die etwa mit Methadon substituiert werden, bleiben über Jahre dabei. Und das Ziel ist auch — anders als es noch im Gesetz steht — nicht mehr, dass sie unbedingt abstinent werden. „Vor allem sollen sie gesellschaftlich und beruflich reintegriert werden“, erklärt Manuela Bolz, die die ambulante Behandlung bei der mudra leitet. Das heißt: Sie sollen arbeiten, mit ihren Kindern spielen, am Leben teilhaben können.

Das Problem ist: Dafür brauchen sie einen Arzt, der sie mit Ersatzstoff versorgt. Und dazu sind immer weniger Mediziner in Bayern bereit. Bei den drei Nürnberger Ambulanzen, mit denen mudra im Rahmen des Projekts „substanz“ kooperiert, kommen 250 Patienten unter; auf einen Platz müssen sie aber teils drei Monate warten. Die 200 weiteren Plätze in zwei Praxen reichen bei weitem nicht aus.

Erlangen hat gar keine Plätze

Fürth bereitet Miriam Houppert, die bei mudra für „substanz“ zuständig ist, noch mehr Kopfschmerzen. In einer der beiden Praxen, die noch Substitution anbieten, gehen zwei Mediziner in Rente; die Nachfolger haben kein Interesse an dem Gebiet. In der Medizinstadt Erlangen gibt es derweil sagenhafte null Plätze. Deswegen hat mudra heute einen Stand auf dem Kongress der Bayerischen Landesärztekammer, der sich in Nürnberg auch mit dem Thema Sucht befassen will, um mehr Mediziner für die Substitution zu gewinnen.

In fünf Jahren, schätzt Bolz, wird eine echte Notlage herrschen. Schon jetzt müssen Süchtige teils stundenlange Wege zum Arzt in Kauf nehmen, was oft ihren Job gefährdet. Und immer mehr von ihnen konzentrieren sich auf immer weniger Praxen, treffen sich also dort. „Dabei wollen die doch eigentlich aus der Drogenszene raus“, sagt Houppert. Der drastischste Effekt dieser ganzen Entwicklung: Es gibt wieder mehr Drogentote.

Dass die Substitution für Ärzte so wenig attraktiv ist, hat mehrere Gründe. Sie hat ein schlechtes Image, wird nicht mehr so gut vergütet — vor allem aber gibt es rechtliche Probleme. Mehrere bayerische Mediziner hatten schon Besuch von der Staatsanwaltschaft. Bei Thomas Melcher aus dem Allgäu beschlagnahmte sie zum Beispiel 108 Patientenakten.

Melcher hatte einigen Patienten Methadon mit nach Hause gegeben, damit sie nicht jeden Tag zu ihm fahren und so vielleicht ihren Job verlieren würden. Doch damit machte er sich strafbar.

Das Substitutionsrecht, erklärt Manuela Bolz, sei aus den 90ern, damals wusste man noch nicht so viel darüber. Heute sei klar, dass die Behandlung funktioniere. Seit der Einführung hat sich die Zahl der Drogentoten bundesweit halbiert, und auch die sogenannte drogenbezogene Kriminalität hat sich deutlich verringert.

Trotzdem wurde das Gesetz nicht aktualisiert — so sind die Freiheiten, auf die Lebenssituation der Patienten einzugehen, sehr begrenzt. Es liegt allerdings vor allem an Gesundheitsämtern und Staatsanwaltschaften, wie streng sie das Gesetz auslegen. In anderen Bundesländern sind sie deutlich weniger rigoros als in Bayern.

Es scheint sich aber etwas zu bewegen: „Ärzte dürfen durch betäubungsrechtliche Regelungen nicht mit einem Bein im Gefängnis stehen“, mahnte etwa Drogenbeauftragte Marlene Mortler. Sie will sich auf Bundesebene für eine Reform einsetzen.

Und immerhin haben das bayerische Gesundheitsministerium und die Landesärztekammer inzwischen Übergangsregeln erarbeitet, die die Justiz dazu bringen sollen, nicht voreilig Verfahren einzuleiten, sondern strittige Fragen im Dialog mit den Ärzten zu klären. Das wäre ein Fortschritt, der auch Tausenden Patienten nützten würde.

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