28 Tote: Die Todesstrafe existiert noch

27.6.2016, 10:00 Uhr
28 Tote: Die Todesstrafe existiert noch

© Fotos: privat/Stefan Hippel

In diesem Artikel geht es um die Todesstrafe, im Interview darunter haben die Schüler mit Abdul Simsek gesprochen, dem Sohn des ersten Nürnberger NSU-Opfers. Weitere Erlebnisse und Ergebnisse sind online in einem Blog zu finden: www.schuckert atlanta.wordpress.de

Die Verurteilten sitzen meist 20 Jahre und länger im Gefängnis und warten auf ihren Tod. Diese Ungewissheit über den Zeitpunkt der Vollstreckung ist unerträglich. Unfassbar ist, dass ungefähr zwölf Prozent aller durch die Todesstrafe getöteten Menschen im Nachhinein unschuldig gesprochen werden.

Wir, der Arbeitskreis „Menschenrechte“, sind im März nach Atlanta geflogen, um mehr über dieses grausame Verfahren zu erfahren – und um mit Menschen zu reden, die in irgendeiner Weise involviert sind. Zu unserem Erstaunen merkten wir, dass die Mehrheit der Befragten keinen Sinn in der Todesstrafe sieht.

Wir hatten auch die Chance, uns mit fachlich und persönlich involvierten Menschen zu unterhalten. Dazu zählten ein Richter, Anwälte und eine Psychologin, die sich mit den Familien der zum Tode Verurteilten beschäftigt. Außerdem lernten wir eine erstaunlich starke junge Frau kennen die vor einigen Jahren im Zwiespalt zwischen Opfer und Täter stand.

Kayla erzählte uns, dass ihr Vater ermordet wurde, als sie sieben Jahre alt war. Der Täter war ihre Mutter, die 18 Jahre später durch die Todesstrafe ums Leben kam. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie Kayla mit dieser Zerrissenheit weiterleben kann.

In unserer Partnerschule arbeiteten wir in amerikanisch-deutsch gemischten Schüler-Gruppen sechs verschiedene Themen für unser Projekt aus: Fehlurteile in der Todesstrafe; Zählt der Lebensstandard in solch einem Urteil? Tötung versus Gefängnis auf Lebenszeit; Verstößt die Strafe gegen Menschenrechte? Welche Rolle hat die Rasse beim Urteil? Und das Erbe der Todesstrafe.

Fehlentscheidungen

Der Richter, die Anwälte und Kayla waren zum Beispiel alle der Meinung, dass der Lebensstandard eine große Rolle im Urteil spielt. Einfach gesagt: Wer mehr Geld hat, kann sich bessere Anwälte leisten.

Kaylas Mutter etwa wäre nicht getötet worden, wenn ihr Anwalt sie nicht zu einer Fehlentscheidung verleitet hätte. Ähnlich sah es beim Thema „Rasse“ aus. Es werden zwar fast gleich viele Hellhäutige wie Dunkelhäutige zum Tode verurteilt, allerdings fanden wir heraus, dass der Täter eher verurteilt wird, wenn das Opfer hellhäutig ist.

Davon abgesehen verstößt die Todesstrafe, wie erwartet, gegen die Menschenrechte. Wo sind die menschenwürdigen Haftbedingungen, die uns versprochen werden? Wo ist die „unantastbare Würde des Menschen“ geblieben? Und am wichtigsten: Haben nicht alle ein „Recht auf Leben“?

Mancher würde vielleicht behaupten, ein Mörder hätte seine Rechte verwirkt – wären da nicht all die Fehlurteile: Wie gesagt, zwölf Prozent der Getöteten waren keine Täter. Todesurteile werden viel zu schnell gefällt. Ein positiver DNA-Test, falsche Geständnisse und Augenzeugen, die nicht immer die Wahrheit sagen, reichen aus, um jemanden schuldig zu sprechen. Und auch Mörder können ihre Taten bereuen.

Kaylas Mutter zum Beispiel hatte sich im Gefängnis gebessert: Sie hat ihren Fehler bereut, ein Theologie-Studium begonnen und eine gute Beziehung zu ihrer Tochter aufgebaut, bevor sie hingerichtet wurde. Natürlich ist dies nicht häufig der Fall. Ein Mörder bleibt meist ein Mörder. Aber Menschen, die eine zweite Chance nutzen, sollte man auch eine geben.

Unsere Prognose ist, dass es die Todesstrafe künftig nicht mehr geben wird. In Amerika wie in Deutschland ist die große Mehrheit dagegen. Vor allem junge Leute wie wir tolerieren sie nicht.

Bis 6. Juli sind 14 Schüler der Maynard Jackson Highschool aus Nürnbergs Partnerstadt Atlanta zu Gast, um sich mit ihrer Partnerschule, dem Sigmund-Schuckert-Gymnasium, zum Thema „Menschenrechte und Strafrecht“ auszutauschen. Bereits im März waren die Nürnberger in Atlanta, wo sie sich speziell zum Thema Todesstrafe informiert haben. In Nürnberg liegt der Schwerpunkt auf den NSU-Morden. Auf dieser Seite geht es daher in unserem großen Artikel um die Todesstrafe, im Interview rechts haben die Schüler mit Abdul Þimþek gesprochen, dem Sohn des ersten Nürnberger NSU-Opfers. Weitere Erlebnisse und Ergebnisse sind online in einem Blog zu finden: www.schuckert atlanta.wordpress.de

28 Tote: Die Todesstrafe existiert noch

© Hippel

Interview

Herr Simsek, wir haben gehört, dass Sie und Ihre Familie nach dem Tod Ihres Vaters nicht gerade angemessen von der Polizei behandelt wurden. Können Sie uns dazu Näheres erzählen?

Abdul Simsek: In der Nacht, als auf meinen Vater geschossen wurde, wurden wir erst mal von der Polizei befragt – bevor wir ihn in der Klinik besuchen durften. Wir wurden gefragt, ob unser Vater Drogendealer oder Mitglied der türkischen Mafia sei und anderes. Nachdem mein Vater drei Tage später starb, wurden vor allem meine Mutter und die Brüder meines Vaters regelmäßig stundenlang verhört, ohne dass auf deren Trauer Rücksicht genommen wurde. Sie wurden nicht als Opfer gesehen, sondern als Verdächtige. Bedenklich war auch, dass die Polizei nie in Betracht zu ziehen schien, dass die Täter aus der rechtsextremistischen Szene kommen könnten. Wir mussten elf Jahre warten, bis herauskam, dass mein Vater von Rechtsextremisten ermordet worden war. Die Polizei hat sich bis heute nicht entschuldigt.

 

Wie haben die Medien die NSU-Morde dargestellt?

Abdul Simsek: Ich finde, mit Bezeichnungen wie „Döner-Morde“ hat die Presse die Vorfälle verharmlost. Andere Medien verbreiteten die Theorie, unser Vater wäre Mafiamitglied, Drogendealer oder hätte Spielschulden gehabt und wäre deswegen umgebracht worden. Dabei war mein Vater ein völlig unbescholtener, ehrlicher Bürger und liebevoller Mensch. Ich denke, wenn Deutsche und nicht Türken ermordet worden wären, wären die Vorfälle anders präsentiert worden.

 

Haben Sie diese Geschichten irgendwann selbst geglaubt?

Abdul Simsek: Nein. Ich und auch meine Familie haben nie an unserem Vater gezweifelt. Aber natürlich gab es viele Nachbarn und Bekannte, die an diese Geschichten glaubten. Deshalb habe ich als Schüler immer versucht zu verheimlichen, dass ich der Sohn von Enver Þimþek bin. Ich war ja erst 13, als mein Vater ermordet wurde.

Interview: Lorenz Kaplik, Linda Wetzel Morghan Smith, Colin McAdams

Die Schulpartnerschaft gibt es übrigens schon seit zwei Jahren und entstand auf Initiative des Amts für Internationale Beziehungen in Nürnberg.

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