Das Leben mit der zweiten Chance

3.6.2018, 19:08 Uhr
Das Leben mit der zweiten Chance

© Symbolfoto: Emily Wabitsch/dpa

"Wenn die wissen, dass ich Organspender bin, lassen die mich doch absichtlich sterben!" Und: "Nachher entnehmen die mir meine Organe, obwohl ich noch lebe!" – Vorurteile und Ängste gegenüber Organspenden gibt es viele. Aber keine Sorge: Kein Arzt wird euch sterben lassen oder euch Organe entnehmen, solange ihr die noch selbst braucht!

Die meisten Organspenden in Deutschland sind postmortale Spenden, das ist gesetzlich festgelegt, erzählt uns Karin Hirsch, Oberärztin am Uniklinikum Erlangen. Das heißt, der Spender ist bereits tot und hatte einen Organspendeausweis, der es erlaubt, dass Organe nach dem Tod transplantiert werden dürfen.

Blutgruppe und Region

Bevor es dazu kommt, müssen jedoch drei Ärzte unabhängig voneinander feststellen, dass die Person hirntot ist. Dann wird erst ein Empfänger ausgewählt; neben der Wartezeit spielen auch Faktoren wie die Blutgruppe und die Region eine Rolle, um die Erfolgschancen der Transplantation zu erhöhen. Jedoch wird nicht jeder mögliche Spender seine Organe hergeben, dafür spielen die genauen Todesumstände eine Rolle.

Die 20-jährige Antonia hat seit einigen Jahren einen Organspende-Ausweis: In der Schule hielt sie ein Referat darüber und erfuhr bei der Recherche, dass sie und ihre beiden Geschwister ihren Opa nicht kennengelernt hätten, hätte dieser kein Spenderherz erhalten. "Wenn ich tot bin, brauche ich meine Organe eh nicht mehr, dann soll die doch gerne jemand haben, der sie wirklich braucht", sagt sie.

"Ich würde mir auch wünschen, dass ich eine Organspende bekomme, wenn ich eine bräuchte." Trotzdem hat sie auf ihrem Organspendeausweis eine Ausnahme angegeben: Ihre Augen sollen nicht gespendet werden. "Wahrscheinlich ist das albern, aber ich finde die Vorstellung einfach gruselig."

Organspender werden ist ganz einfach: Man füllt einfach ein Zettelchen aus und bestimmt, welche Organe gespendet werden dürfen. Der Vordruck dafür liegt bei vielen Ärzten aus, einige Krankenkassen schicken ihn sogar ungefragt alle zwei Jahre per Post, oder man kann ihn kostenlos online bestellen oder ausdrucken. Neuerdings gibt es den Ausweis sogar mit Motiven des Lieblingsfußballvereins – so einen hat Max, seitdem seine Zwillingsschwester Hanna eine Spenderniere bekommen hat.

Die 16-Jährige ist wegen eines Gendefektes von Geburt an blind. Als sie acht Jahre alt war, erfuhr sie von einem zweiten Gendefekt: Nephronophthise – ihre Nieren werden versagen. Zunächst erhielt sie Medikamente, doch lange half das nicht. Die Familie entschied sich für eine Lebendspende von ihrem Vater. Auf eine fremde Spenderniere hoffte die Familie nicht – selbst mit Kinderbonus betrug die Wartezeit meist über zwei Jahre.

Das Leben mit der zweiten Chance

© Foto: privat

Doch einen Monat vor der geplanten Operation kam der überraschende Anruf. Es gab eine passende Spenderniere! Für Hanna blieb kaum Zeit, aufgeregt zu sein: Die OP fand direkt am nächsten Morgen statt. Ein bisschen Angst hatte Hanna vor der OP, aber alles verlief ohne Komplikationen.

Über den Nierenspender wusste Hanna nicht viel, außer dass er männlich und über 50 Jahre alt war: "Der Gedanke, eine fremde Niere im Körper zu haben, war erst komisch, aber inzwischen fühlt sich alles normal an." Heute denkt sie kaum noch darüber nach. Sechs leichte Abstoßungsreaktionen der fremden Niere hat Hanna hinter sich, aber mit der Anpassung von Medikamenten war das leicht in den Griff zu bekommen.

So viel Glück wie Hanna hatte Fabian nicht, als er mit 15 die Diagnose "beidseitiges Nierenversagen" bekam. Zunächst ging er dreimal pro Woche für fünf Stunden zur Dialyse, für Freizeit und Freunde blieb nicht mehr viel Zeit. Eine Spenderniere zu finden, war auch nicht einfach: Seine Eltern waren zwar bereit zu spenden, laut Klinik jedoch nicht geeignet.

Eine postmortale Spende war sehr unwahrscheinlich, da Fabian zum Zeitpunkt der Dialyse 16 Jahre alt war und damit keinen Kinderbonus mehr hatte – die durchschnittliche Wartezeit für Erwachsene auf eine Niere beträgt fünf bis sieben Jahre.

Doch Fabian gab nicht auf und stellte sich am Uniklinikum Erlangen vor, wo eine blutgruppeninkompatible Nierenspende möglich ist: Die Niere wird nach der Entnahme "gewaschen", also mit bestimmten Chemikalien gereinigt. Der Empfänger muss zudem ein Medikament mehr nehmen, das den Körper daran hindert, die fremde Niere abzustoßen.

Mutter gibt Niere an Sohn

Fabian nahm diese Komplikation jedoch gerne in Kauf. "Ob ich jetzt sieben oder acht Tabletten nehme, ist auch egal", sagt er. Nach einigen Untersuchungen stand fest: Fabians Mutter kann ihm eine Niere spenden. Die Erleichterung ist groß. "Ich habe nicht eine Sekunde gezögert. Für mich war sofort klar, dass ich meinem Sohn die Niere spenden würde, wenn feststeht, dass das möglich ist", erzählt seine Mutter.

Erst nach der Operation wurde Fabian klar, wie schlecht es ihm vorher ging. "Ich bin aus der Narkose aufgewacht und habe sofort gemerkt, dass irgendetwas anders ist, besser. Selbst nach der Narkose habe ich mich nicht so schlapp gefühlt wie davor immer", erzählt er.

Inzwischen studiert er in Schwerin und kann nahezu ein normales Leben führen: Lediglich auf Judo muss er wegen der Anstrengung verzichten, und durch sein geschwächtes Immunsystem ist er anfälliger für Krankheiten. Dennoch geht es ihm wesentlich besser als ohne die OP: "Ich sehe das als zweite Chance und bin unglaublich dankbar."

Infos zum Organspendeausweis

Ab dem 16. Geburtstag können Jugendliche in einem Organspendeausweis bestimmen, ob und welche Organe sie spenden möchten. Bereits ab 14 kann man einer Organ- und Gewebeentnahme widersprechen. Es ist ratsam, den Ausweis zum Beispiel im Geldbeutel bei sich zu tragen. Mehr Infos zum Ausweis findet ihr auf www.organspende-info.de

Das Leben mit der zweiten Chance

© Foto: Helke Rüder

Weitere spannende Fakten zum Thema hat uns Karin Hirsch vom Uniklinikum Erlangen erzählt. Ihre Klinik bietet auch Aufklärungsseminare für Schüler ab 15/16 Jahren an.

  • In Deutschland warten etwa 90 Kinder unter 16 auf eine Organspende; Wartezeit: etwa 20 Monate.
  • Bei den Erwachsenen sind es etwa 7800; Wartezeit: 5 bis 7 Jahre.
  • Mögliche Spendeorgane sind Herz, Niere, Lunge, Leber und Bauchspeicheldrüse.
  • Die Niere ist das am häufigsten gebrauchte und transplantierte Organ.
  • In Deutschland gibt es 42 Transplantationszentren, davon allein 15 für Kindernieren.
  • Die älteste Nierenspenderin war 98 Jahre alt; das jüngste transplantierte Kind in Erlangen war 22 Monate alt.
  • Die Sterberate im ersten Jahr nach der Transplantation liegt zwischen null und drei Prozent.

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