Der Ich-habe-sowas-von-die-Nase-voll-Moment

16.1.2017, 17:03 Uhr
Der Ich-habe-sowas-von-die-Nase-voll-Moment

© Foto unten: dpa

Als ich die Tür öffne, kommen mir betrunkenes Lachen und laute Musik entgegen. Mein Mitbewohner hat Freunde eingeladen. Seufzend verziehe ich mich in die Dusche. Doch nach zwei Minuten wird das Wasser kalt, und meine Knochen ächzen nach Wärme. Es hat wohl wieder niemand daran gedacht, den Wasserboiler anzumachen.

Der Partylärm von draußen dringt zu mir herein – und da kommt er: der Ich-habe-sowas-von-die-Nase-voll-von-WGs-Moment. Es reicht mir mit Schmutz, Streit um Putzpläne und Ruhe, es langt mir mit zu wenig Platz im Kühlschrank und der ewigen Angst um meine gute Pfanne.

Und wie das am Ende immer so ist, gehen meine Gedanken zum Anfang. Wie bin ich zu diesem Moment gekommen? Vor einer halben Ewigkeit bezog ich meine erste WG. In meinem Auslandsjahr in Nicaragua teilte ich mit meiner Mitfreiwilligen meine erste Wohnung.

Wir waren beide 18 und komplett unerfahren im Leben. Wir sprengten beim Kochen einen Glasdeckel in die Luft, ließen im Ofen eine Plastikschüssel schmelzen (es stank noch ewig) – und lachten darüber.

Miteinander hatten wir keine Probleme, jedoch mit unseren anderen Mitbewohnern. Sie waren klein, wahnsinnig schnell und verursachten Fluchtreflexe bei uns. Ja, meine erste eigene Wohnung teilte ich mit Kakerlaken. Es war ein ewiger Kampf zwischen Mensch und Tier. Ich erinnere mich noch an eine erfolgreiche Schlacht, in der ich an einem Abend fünf Kakerlaken tötete. Leider gab es aber auch die Abende, an denen sie sich die Küche zurückeroberten und wir uns in den ersten Stock zurückzogen.

Mit Kakerlaken ziehe ich nicht mehr zusammen, schwor ich mir dann mit 19 – und ging zum Studieren nach Erlangen. Abgesehen von der einen oder anderen Spinne wohnte ich hier nur mit einer Schulfreundin zusammen.

Ich schaffte mir eine gute Pfanne an und wusste sie bei Anne in Sicherheit. Wir richteten uns gemütlich ein und stürzten uns ins Studentenleben. Anfangs war unser Zusammenleben noch ein gemeinsam Kochen, Einkaufen, Chillen, Serien schauen und Reden.

Doch irgendwann schlug das um: Kam ich nachts um fünf Uhr heim, sagte sie am nächsten Morgen (also gegen 15 Uhr) zu mir mit bissiger Stimme: „Na, du bist aber lange weg gewesen.“ Als sie mich bat, doch endlich mein Zimmer aufzuräumen, sah ich sie an und fragte: „Bist du meine Mutter?“

Nach eineinhalb Jahren waren Anne und ich wie ein altes Ehepaar geworden. Sie keifte mich vor meinen Freunden an und ich keifte zurück. Ich beschloss, die Freundschaft zu retten, und zog aus.

Erst als ich in meiner mittlerweile dritten WG saß, merkte ich, dass die Freundschaft nicht zu retten war. Dafür hatte ich nun zwei neue Mitbewohnerinnen (beide zum Glück menschlicher Natur) und fand mich inmitten eines Schlachtfeldes wieder.

Von Katharina erfuhr ich, dass Lisa einen viel zu hohen Verbrauch von Klopapier hat. Und Lisa ließ mich abfällig wissen, dass Katharina in einem Jahr etwa 5 000 Euro für Kleidung ausgegeben hatte. Ich nickte jeweils verständnisvoll und versuchte, mich aus der Schlacht rauszuhalten.

Bald entschloss ich mich zur Flucht nach vorne und ging für ein Semester nach Großbritannien. Mit acht anderen Mitbewohnern, da kann doch nicht so viel schiefgehen. Dachte ich. Unser Haus (ja, ein ganzes Haus) war typisch britisch, klein aber süß. Der Schimmel störte mich nur, solange ich seine Existenz nicht ignorierte.

Nachts wurde ich ab und an geweckt durch die lauten Bettgeschichten der Mitbewohnerin über mir: Susy. Unglücklicherweise suchte sich Susy eines Tages unseren Mitbewohner Tom aus.

Wenn das Wort Beziehungsdrama irgendwo passt, dann hier: An einem Tag kuschelten Susy und Tom harmonisch im Wohnzimmer. Am nächsten Tag erzählte mir Tom kochend vor Wut, dass Susy sein Zimmer durchwühlt und zerstört und ein Messer entwendet habe. „Die ist für mich gestorben!“, zischte er. Kurz darauf kuschelten sie wieder im Wohnzimmer. So lief das, bis eines Tages beide schreiend durchs Haus rannten.

Nun bin ich in meinem fünften Jahr WG-Leben zurück in Erlangen mit einem Erasmus-Student und einer Schwäbin. Jeder hat in einer WG seine eigenen Grenzen. Meine verläuft genau dort, wo die Sicherheit meiner guten Pfanne aufhört.

Vermutlich trug der Tag enorm zu dem Ich-habe-sowas-von-die-Nase-voll-von-WGs-Moment bei, als ich meinen Erasmus-Mitbewohner ertappte, wie er meine gute Teflon-Pfanne beim Umrühren seiner Dosenravioli mit einer Gabel zerkratzte.

Gibt es diesen einen Moment wirklich, der einem sagt: Man ist durch mit dem Leben in einer WG? Wenn es ihn gibt, dann erreicht ihn jeder zu einem anderen Zeitpunkt. Ich vermute aber stark, dass viele in diesem Moment mit Haaren voller Shampoo frierend in der Dusche stehen und denken: „Ich hab die Nase sowas von voll. Aber es war eine geile Zeit.“

 

Unsere Autorin hat ein Pseudonym gewählt „aus Respekt vor ihren früheren Mitbewohnern, die trotz verfälschter Namen erkannt werden könnten“.

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