Der mit dem Kunstrad tanzt: Lukas ist mehrfacher Meister

14.10.2015, 08:00 Uhr
Der mit dem Kunstrad tanzt: Lukas ist mehrfacher Meister

© Roland Huber

Plötzlich wird es ganz still. So still, dass man die Luft zwischen den Radspeichen zischen hört. Das Gemurmel verebbt. Die Blicke richten sich auf die Mitte der Turnhalle.

Dort steht Lukas auf seinem Fahrrad, genauer gesagt auf dem Sattel. Das Rad fährt weiter. Während der Fahrt springt Lukas auf den Lenker, bleibt dort einige Runden aufrecht stehen und springt zurück auf den Sattel. Er greift nach dem Lenker und hebt — ganz langsam — seinen Körper zum Handstand empor. Jede Muskelfaser ist angespannt. Lukas ist hochkonzentriert.

Dabei macht der 19-Jährige seit Jahren nichts anderes. Trainieren, trainieren, trainieren. Mindestens 3000 Mal hat er den Handstand auf dem Lenker quasi trocken geübt — seine Trainerin stützte ihn — bevor er es überhaupt allein versuchte. Ein Leben ohne das Kunstrad gibt es für ihn nicht.

Der Ehrgeiz treibt ihn an. Sein Trainingsplan ist straff: An drei Abenden trainiert er in der Halle, an zwei weiteren geht er zum Joggen oder Mountainbiken.

Dreimal schon war er Deutscher Meister, zweimal Europameister, selbst einen Weltrekord hat er schon hingelegt. Dieses Wochenende tritt er wieder zur Deutschen Meisterschaft in Lübbecke an. Diesmal in der Kategorie: Elite.

Exakt fünf Minuten dauert seine Kür. Keine Sekunde länger hat er Zeit, um die Jury von sich zu überzeugen. Aber das reicht auch. Nach wenigen Minuten auf dem Kunstrad ist Lukas außer Atem, Schweiß tropft von seiner Stirn, die Adern pochen.

Beim Kunstradfahren ist er eigentlich aus Versehen gelandet. Ein Kumpel hatte ihm von Radball erzählt, unbedingt wollte Lukas das ausprobieren. Doch die Trainer schickten ihn zum Kunstrad-Training. Ein halbes Jahr lang sollte er erst mal lernen, mit dem speziellen Rad klarzukommen.

Doch dann ist Lukas einfach dabeigeblieben. Kein einziges Mal hat er Radball gespielt. „Das Kunstradfahren hat mich fasziniert“, sagt er. Damals war Lukas acht Jahre alt.

Seine Eltern haben ihn nie unter Druck gesetzt. „Im Gegenteil“, sagt seine Mutter und schüttelt den Kopf. Wenn sie gerade zum Training fahren wollten und dann das Telefon klingelte, dann war eindeutig Lukas derjenige, „der ausgeflippt ist“. Anfangs hat die Mutter ihn nur zum Training gefahren, später ging sie mit in die Halle. Heute ist sie Trainerin und bei jedem Wettkampf dabei.

Denn es geht den Kunstradlern nicht nur um Sport, es ist die Gemeinschaft, die sie verbindet. „Fünf Minuten lang sind wir erbitterte Konkurrenten. Die anderen 365 Tage im Jahr sind wir eine große Familie“, sagt Lukas.

Gerade ist er bei Minute drei seiner Kür. Ohne Unterlass dreht das Rad seine Runden, zieht die Kreise immer enger, bis Lukas schließlich Pirouetten dreht auf seinem Hinterreifen. „Nicht schlecht“, murmelt die Mutter, die derweil die Zeit misst.

Gefallen ist Lukas schon hunderte Male. Passiert ist praktisch nichts, Dutzende blaue Flecken, ein Bänderriss. Aber das ist nichts gegen die schönen Momente, die Lukas durch den Sport erlebt. Zum Beispiel, als Lukas als Deutscher Meister nach Kirchehrenbach zurückkehrte — dort ist sein Verein zu Hause, dort trainiert er. Die ganze Ortschaft hatte sich am Kirchplatz versammelt, um ihrem Star zuzujubeln und seinen Sieg zu feiern. „Das hat mich umgehauen“, sagt der 19-Jährige.

Zeit für andere Hobbys bleibt freilich keine. Selbst seine Freundin hat er beim Kunstradfahren kennengelernt. Das Kunstradfahren überhaupt mit dem Studium zum Wirtschaftsingenieur in Erlangen zu vereinbaren, ist schon eine Hürde.

Auch manche Freunde schütteln verständnislos den Kopf, wenn Lukas wieder mal eine Party absagt wegen eines Wettkampfs. Aber so ist das eben: Ein Leben ohne Kunstrad geht nicht, mit ist kompliziert. Und davon leben kann er nicht. Doch manchmal gibt es dieses Dilemma nicht. Wenn Lukas fünf Minuten lang auf seinem Rad springt, balanciert und tanzt.

Unter Extra-Talent stellen wir Jugendliche vor, die mit irgendetwas sehr erfolgreich sind. Ihr kennt jemanden, über den wir mal berichten sollten? Dann schreibt uns an nn-xtra@ pressenetz.de

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