Der Mythos Wilhelmine verblasst

18.10.2018, 15:30 Uhr
Der Mythos Wilhelmine verblasst

Noch vor 25 Jahren, zur 250-Jahr-Feier der FAU, schien der Fall klar: Die treibende Kraft hinter der Gründung der Erlanger Universität im Jahre 1743 war Wilhelmine, die Gemahlin von Markgraf Friedrich von Brandenburg-Bayreuth. Eine kulturell interessierte und gebildete Landesfürstin wie sie müsse doch zwangsläufig an der Universitätsgründung beteiligt gewesen sein, das war die – kaum angefochtene – Lehrmeinung.

Was man heutzutage Merchandising nennt, steckte 1993 noch in den Kinderschuhen. Gemessen daran brach zum Uni-Jubiläum ein regelrechter Wilhelmine-Hype aus. Es gab Teller, Tassen, Postkarten und Poster und vieles mehr mit dem Konterfei der Markgräfin zu kaufen.

Sogar die von Wilhelmine persönlich komponierte Oper "Argenore" kam anlässlich des Jubiläums zu völlig neuen Ehren – obwohl sie gar nichts damit zu tun hatte. Die Markgräfin hatte das Stück schon drei Jahre vor der Universitätsgründung ihrem Gatten zum Geburtstag geschenkt.

In mancher Gelehrtenstube mag der Mythos "Wilhelmine als Universitätsgründerin" damals bereits gebröckelt haben. Inzwischen hat er sich verflüchtigt, die offizielle Sicht hat sich gedreht.

"In den einschlägigen Universitätsakten sind konkrete Aktivitäten Wilhelmines (bei der Gründung der Universität in Erlangen) nicht nachweisbar", stellt der FAU-Archivar, der promovierte Historiker Clemens Wachter, lapidar fest. Auf der Fachtagung mit dem Titel "Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth und die Erlanger Universität: Künste und Wissenschaften im Dialog" beleuchtete Wachter das Thema "Wilhelmine von Bayreuth und ihr Einfluss auf die Universität Erlangen".

Dass die "Markgräfin zur Universitätsgründerin stilisiert" wurde, sei der "romanhaften Literatur zuzuschreiben, meint Wachter. Die tatsächliche Einflussnahme Wilhelmines auf die Universitätsgründung sei jedoch nur schwer nachzuweisen – erwartungsgemäß, da eben der Landesherr die rechtlich signifikanten Akte zu erledigen hatte und nicht seine Frau.

Allenfalls indirekt habe Wilhelmine mitgewirkt. Sie ließ den seinerzeit in Stettin tätigen Arzt und – in kulturellen Dingen bewanderten – Wissenschaftler Daniel de Superville 1738 als Berater nach Bayreuth holen. De Superville wurde nicht nur ihr Leibarzt und Vertrauter, sondern später auch Kanzler der neu gegründeten Universität in Erlangen.

In Wilhelmines eigenen Aufzeichnungen sind laut Wachter keine Anzeichen zu finden, die auf einen direkten Einfluss auf die Erlanger Universitätsgründung hindeuten – weder in ihren umfangreichen Briefwechseln noch in ihren Memoiren. Pure Bescheidenheit? Wohl kaum!

Und noch ein Aspekt: Hätte eine am Austausch mit Gelehrten interessierte Markgräfin nicht eher eine Universitätsgründung in der eigenen Residenzstadt Bayreuth unterstützt als in der Provinzstadt Erlangen, ganz am Rande des Fürstentums, damals mehr als eine Tagesreise mit der Kutsche entfernt? So ist allenfalls denkbar, dass Wilhelmine hinter den Kulissen Einfluss auf die Gründung der Universität hatte. Als aufgeklärte Persönlichkeit mag sie ihren Ehemann Friedrich maßgeblich beeinflusst haben. Die amtlichen Akten sagten darüber natürlich nichts aus. Gleichwohl unstrittig ist, dass Wilhelmine die Ideale der Aufklärung verfocht und außerordentlich kulturell sowie wissenschaftlich interessiert war. Von ihrer Rolle als Komponistin war bereits die Rede, außer der Oper "Argenore" schrieb sie mehrere weitere Opernlibretti sowie das Musikdrama (festa theatrale) "L’Huomo". Zudem spielte die Markgräfin leidenschaftlich gerne Laute.

Der Mythos Wilhelmine verblasst

© Irene Lenk

Auf der Tagung gab es Vorträge über weitere Beispiele ihrer Aktivitäten: Wilhelmine pflegte einen intensiven Briefwechsel mit dem Philosophen Voltaire, den sie 1750 in Berlin persönlich kennenlernte. Wilhelmine ließ unter anderem den berühmten Felsengarten Sanspareil errichten, und Wilhelmine bereiste Südfrankreich und Italien.

Darüber hinaus verfügte die Markgräfin über eine Bibliothek mit – wie die Diskussion auf der Tagung ergab – weit über 4000 Büchern. Dabei handelte es sich vor allem um französischsprachige schöngeistige Literatur, Memoiren, geschichtliche Werke insbesondere über die Antike und die Frühe Neuzeit, Reisebeschreibungen und Bücher antiker Autoren in französischer Übersetzung.

Immerhin – diese Bibliothek vermachte Wilhelmine per Testament der Erlanger Universität, die sie bis heute als wertvollen Schatz hütet.

Zu Lebzeiten der Markgräfin hatten die Bücher jedoch keine Bedeutung für den Lehrbetrieb der jungen Universität. Die Sammlung umfasst nämlich so gut wie keine juristische Literatur. Doch gerade die wäre für die Ausbildung von Staatsdienern besonders wichtig gewesen. "Die dafür in größerer Anzahl vorhandenen antiken Autoren in französischer Übersetzung waren für einen Lehrbetrieb, der sich gerade von der Wissenschaftssprache Latein zum Deutschen umorientierte, nicht besonders hilfreich", stellt Wachter fest.

In den Mittelpunkt seines Vortrags stellte der FAU-Archivar die Kernfrage: Inwieweit entsprach das Lehrangebot und seine Vermittlung an der Erlanger Universität überhaupt den Interessen von Markgräfin Wilhelmine? Antwort: kaum!

Begründung: "Die Vorlesungen bestanden noch über die Zeit Wilhelmines hinaus bis zur Etablierung der Universität Humboldt’scher Prägung im 19. Jahrhundert darin, dass ein anerkanntes Lehrbuch durch den vortragenden Professor paraphrasiert wurde. Eine Vorlesung beinhaltete also nicht wie heute einen Vortrag des Dozenten mit eigenen Thesen, Argumentationsstrukturen und Denkanstößen, sondern es wurde althergebrachtes Wissen durch weitergebendes Vorlesen reproduziert."

Nicht in Wilhelmines Sinne

"Die Uni Erlangen stellt sich also vor allem als eine fürstliche Ausbildungsanstalt dar und nicht als Ort für zweck-ungebundenen wissenschaftlichen Austausch", stellt Wachter fest. Sie verkörpere somit "einen durchweg anders gearteten Typus einer Bildungsinstitution" als denjenigen, den Wilhelmine befürwortet hätte.

Wenn man also davon ausgeht, dass Universitätsgründer heute (Beispiel: TU Nürnberg) wie damals mit einem klaren Konzept antreten, dann spricht vieles dafür, dass Wilhelmine mit der Gründung der Universität in Erlangen nur wenig zu tun hatte.

Dementsprechend hat sich der Hype um die Markgräfin längst wieder gelegt. Tassen und T-Shirts mit ihrem Portrait gibt es zum 275-jährigen Jubiläum der FAU nicht.

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