Ein ganzes Buch in zwei Minuten erzählt

16.6.2014, 10:00 Uhr
Ein ganzes Buch in zwei Minuten erzählt

© Peißker

Drehort Spielplatz: Zwei Mädchen klettern eine Rampe hoch. Die eine, Julia, rutscht aus. Als die andere, Mascha, ihr helfen will und ihren Arm packt, zieht sie Julia versehentlich die Jacke aus – und entdeckt lauter blaue Flecken an deren Arm. Mascha ist schockiert. Schon bald kommt sie einem dunklen Geheimnis auf die Schliche: Julia und ihr Bruder werden vom eigenen Vater misshandelt.

Mascha und Julia heißen eigentlich Dilara und Jenni, sind 14 Jahre alt und gehen in die 8. Klasse der Nürnberger Ludwig-Uhland-Mittelschule. Es ist ein heißer Morgen und eigentlich könnten die beiden daheim chillen – denn es sind Pfingstferien. Doch sie haben sich mit Mitschüler Marcel, Klassleiter Sven Loy und Projektleiter Stefan Salamonsberger im Nürnberger Marienbergpark getroffen. Zu Filmaufnahmen.

Es entsteht: ein Trailer zum Buch „Elefanten sieht man nicht“ von Susan Kreller. Ein kurzer Werbefilm, nicht länger als zwei Minuten, der Lust aufs Lesen machen soll. „Das ist toll“, schwärmt Dilara. „Jeder kann seine Sicht aufs Buch einbringen, und das Schauspielern macht Spaß.“

Doch bis zum Filmdreh war es ein weiter Weg. Am Anfang stand ein Crashkurs in Sachen Filmproduktion: Was ist ein Trailer? Wie sind gute Szenen aufgebaut? Wie kann man die Wirkung eines Films über die Kameraperspektive, den Schnitt oder die Musik beeinflussen?

Etwa ab den Faschingsferien ging’s ans Lesen. Sechs Bücher hatte Sven Loy zur freien Wahl gestellt. Sie behandelten „bewusst krasse Themen“, sagt der Lehrer, etwa Transsexualität, Gewalt oder Alkoholismus. Doch die Achtklässler sollten mehr machen, als sich bloß durch die Seiten zu ackern. In einem Portfolio zu ihrem jeweiligen Buch schrieben sie Übersichten zu Handlungen und Personen auf, entwickelten Steckbriefe für die Hauptcharaktere und gaben den Inhalt in Bildern wieder.

So entstand bereits eine Art Storyboard für die späteren Filme. „Eine Inhaltsangabe zu verfassen, gehört zu jeder Schullektüre dazu. Wir haben’s eben mal anders gemacht“, sagt Stefan Salamonsberger. Er ist Teil des Teams „Abenteuer Buch“, das aktive Leseförderung betreibt, und hat das Projekt Buchtrailer erarbeitet. Ihm war es wichtig, dass die Schüler ein Gespür dafür entwickeln, was man filmisch umsetzen kann und was nicht.

„Einzelne Bilder können für ganze Themen stehen“, sagt der Experte. Die blauen Flecken auf Jennis Arm etwa – in Nahaufnahme gezeigt – symbolisieren das Thema Gewalt. Deshalb sollten die Schüler sich auf die fünf wichtigsten, aussagekräftigsten Szenen pro Buch einigen – was zum Teil heftig ausdiskutiert wurde.

Bücherfan Marcel (14) ging zunächst mit gemischten Gefühlen an die Aufgabe: „Ich war unsicher, ob das mit dem Film am Ende wirklich klappt. Aber es hat mich auch gereizt, ein Buch mal anders zu lesen.“ Dilara wiederum fand die Aufgabe, ein ganzes Buch in einen kurzen Film zu packen, gar nicht so schwer: „Nach der Vorarbeit hat man eine eigene Geschichte im Kopf, die man erzählen kann.“

Dass die Trailer am Ende – trotz weniger Mittel – professionell wirken, dafür legen sich auch die Betreuer ins Zeug: Sie drehen mit den Schülern nicht nur am Pausenhof oder Spielplatz, sondern auch an Bahngleisen und sogar daheim bei Loys Oma. Die fertigen Filme sollen am 11. Juli Premiere haben, beim Sommerfest der Uhland-Schule. Danach wollen die Projektleiter Unterrichtsmaterial entwickeln, damit auch andere Lehrer Buchtrailer drehen können.

Stefan Salamonsberger ist nämlich begeistert von dem Pilotprojekt: „Was die Schüler geleistet haben, ist erste Sahne.“ Dilara vertiefte sich sogar soweit in ihr Buch, dass sie zwei Fortsetzungskapitel schrieb. Sie ist überzeugt: „Einen Film aus dem Buch zu machen, wäre geil. Ich würde den auf jeden Fall schauen!“ Wer weiß, vielleicht kommt der eine oder andere Regisseur durch ihren Trailer ja auf den Geschmack . . .

Verwandte Themen


Keine Kommentare