Eine Hand wäscht die andere

20.9.2012, 09:00 Uhr
Eine Hand wäscht die andere

© Ralph Meidl

Mensch, das gibt’s doch nicht! Eine gefühlte Ewigkeit starre ich nun schon das Potenzialtopf-Modell im Physik-Heft an – der entscheidende Gedankenblitz aber lässt noch immer auf sich warten. Das ist vielleicht nicht weiter tragisch, wäre da morgen nicht die Physik-Klausur! Jetzt hilft nur noch eins: Ich greife zum Telefon und wähle Franzis Nummer. Die Freundin, auf die ich mich immer verlassen kann – wenn es um Physik-Fragen geht.

Seit Beginn der 11. Klasse hocken wir im gleichen Physik-Kurs, der beinahe ausschließlich mit männlichen Physik-Genies und Ingenieur-Nachwuchskräften besetzt ist. Nichts für uns! Wir freuen uns schon jetzt darauf, dem Fach nach dem Abitur endgültig den Rücken zu kehren.

Das Manko: Bis dahin zählt jeder Leistungsnachweis für den Abi-Schnitt – der teure Preis dafür, nur eine Naturwissenschaft zu belegen. Das schweißt uns als Physik-Freundinnen zusammen! Wir nehmen uns vor, die letzten zwei Halbjahre gemeinsam zu überstehen.

Kein Wunder also, dass die Telefondrähte zwischen Pommersfelden und Lonnerstadt glühen. Zum Beispiel, wenn es um die benotete Hausaufgaben-Folie geht. Franzi hat dafür eine kniffelige Denkaufgabe verpasst bekommen, gemeinsam brüten wir nun über der Lösung. Ganz sicher sind wir uns zwar nicht, aber Franzis Ansatz klingt logisch. Hoffentlich sieht das der Physik-Lehrer genauso!

Auch so manche Freistunde verbringe ich mit meiner nützlichen Freundin. Während die anderen um uns herum quatschen, Facebook checken oder Schlaf nachholen, brüten wir über Formel-Herleitungen und Experimenten.

Papa kapituliert, Franzi quält sich mit mir durch

Das mag vielleicht trist klingen. Aber nachdem mein Papa vor unserem Physik-Stoff in der 12. Klasse kapituliert hat, bin ich super froh, jemanden zu haben, der auf meine Fragen eine Antwort parat hat.

Zugegeben: Wenn es nicht um Physik geht, sehen wir deutlich weniger voneinander als noch in der Mittelstufe. Eigentlich völlig logisch bei verschiedenen Freundeskreisen und Interessen – von der Physik-Wahl in der Oberstufe mal abgesehen.

Die größte Schwierigkeit einer solchen Freundschaft? Wäscht die eine Hand nicht die andere, gerät das Ganze ins Wanken. Wenn ich also zum zehnten Mal anrufe, nur um etwas Physikalisches zu besprechen, kann ich ein schlechtes Gewissen nicht mehr verdrängen.

Und doch bin ich unglaublich froh, dass wir im selben Physik-Kurs gelandet sind. Unsere Zweckfreundschaft hat nämlich auch einen positiven Nebeneffekt: Wir haben in der Oberstufe den Kontakt nicht verloren. Wenn wir nun beide studieren, werden wir sicher per Facebook Kontakt halten. Und über unsere „Physik-Freundschaft“ schmunzeln, die endlich der Vergangenheit angehört.
 

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